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1 Einführung

Seit einigen Jahren wird im Rahmen einer breit angelegten Verwaltungs- und Hochschulreform der Einsatz von Chipkarten erprobt. Durch die Chipkarte soll die Studierenden- und Personalverwaltung effizienter, kostengünstiger und vor allem mächtiger werden.

Wie auch an den meisten anderen Universitätsstandorten soll auch an der Universität Potsdam zuerst eine Studierendenkarte eingeführt werden, mit der das System „am Menschen“ getestet werden soll. Laut dem uns vorliegenden Pflichtenheft sollen sich die Studierenden in der Einführungsphase mit der Chipkarte ausweisen, diese als Semesterticket, als Kopierkarte und als Bibliothekskarte nutzen. Hinzu kommt eine umfangreiche Nutzung von HISSOS- und HISPOS-Funktionalitäten.

Die mittelfristige Planung dieses Chipkartenprojekts kann man der aus dem Jahre 1998 stammenden „Konzeption zur Einführung der Potsdamer Universitäts-Chipkarte (PUCK)“ entnehmen:

Ausweis (Studierenden-, Dienstausweis), Benutzerkarte für die Universitätsbibliothek, Zugangskontrolle zu PC-Pools der ZEIK und anderen gesicherten Bereichen, Zugriffsrechtkontrolle, bargeldloser Zahlungsverkehr. Lediglich die Digitale Signatur wurde nun gegenüber der Ursprungsplanung verworfen, da diese noch nicht weit genug entwickelt und durchgesetzt sei.

In dieser Stellungnahme werden wir sowohl auf das Pflichtenheft als auch auf die PUCK-Planung und Chipkartenprobleme insgesamt eingehen.

2 Stellungnahme zum Pflichtenheft

2.1 Stellungnahme zu „Projektziel“

„Das primäre Ziel des Projektes ist die Einführung der universellen Studierendenchipkarte als einheitliches Medium zur Identifikation, Authentifikation von Studierenden und als Zahlungsmittel für kleinere Beträge.“

Hierzu ist zu sagen, dass natürlich alle Funktionen schon heute durch Studierendenausweis und Personalausweis erfüllt werden. Da die Studierenden ohnehin ihren Personalausweis jederzeit mit sich führen müssen, gibt es de facto hier keinerlei Verbesserung.

Die Zahlungsmittelfunktion ist ein Zusatz, der nicht notwendig ist. Bisher kommt man auch ohne sie aus. Zudem ist die Einführung der Zahlungsfunktion mit erheblichem Zusatzaufwand verbunden, der auf jeden Fall finanziell auf die Studierenden abgewälzt werden wird. Auf diesen Punkt gehen wir später noch näher ein.

„Zum dialogorientierten Informationsaustausch mit dem Hochschulinformationssystem sollen Selbst- bedienungsterminals an den wichtigsten Standorten der Universität […] installiert werden.“

Die Terminals werden folgende Probleme aufweisen: Sie sind teuer in der Anschaffung und Wartung. Aufgrund der Abschaffung alternativer Methoden (Einsparung) könnten hier technisch bedingte Engpässe entstehen.

„Der funktionalen Erweiterbarkeit der Studierendenchipkarte und der Interoperabilität zwischen bestehenden und künftigen Systemen kommt besondere Bedeutung zu.“

Die angesprochene Erweiterbarkeit ist natürlich generell wünschenswert, allerdings geben wir hier zu bedenken, dass man den Eindruck gewinnt, es werde mit verdeckten Karten gespielt. Zuerst führt man eine Karte mit wenig umstrittenen Funktionen ein, um eine breite Akzeptanz zu schaffen – die umstritteneren Funktionen rüstet man zu geeigneter Zeit nach.

Aus diesem Grund verlangt der AStA einen Chipkartenvertrag, der analog zum Semesterticket von den Studierenden abzustimmen ist. Näheres dazu finden Sie unter „Für eine demokratisch abgesicherte Chipkarte – der Chipkartenvertrag“.

„Nach Abschluss des Projektes unterstützen die Selbstbedienungsterminals folgende Terminals: Anzeige der gespeicherten Kartendaten und Änderung der persönlichen Identifikationsnummer, Bescheinigungsdruck, Studienbescheinigung, Bescheinigung nach § 9 BAföG, Leistungsnachweise, Adressänderung, Leistungsabfrage, Erneuern des Gültigkeitsaufdruckes für die Funktion als Semesterticket, Rückmeldung in Verbindung mit der Bezahlung der Studiengebühren.“

Wir müssen hier nicht darauf hinweisen, dass Studiengebühren per Hochschulgesetz verboten sind. Gemeint ist der bunte Reigen an Gebühren und Beiträgen, die bei der Rückmeldung fällig werden (Verwaltungsgebühren, die illegale Rückmeldegebühr, der Sozialbeitrag des Studentenwerks und der Studierendenschaftsbeitrag sowie der Semesterticketbeitrag). Die Verwendung des Begriffs „Studiengebühren“ weist aber schon an dieser Stelle auf das Ziel der Geldkarte hin. Es geht hier um die Einführung von Mikrostudiengebühren, die an jeder Stelle der Universität und an jedem Punkt der Universitätsverwaltung nun schnell und leicht einführbar und abrechenbar sind.

Die Erneuerung des Gültigkeitsaufdrucks für die Funktion als Semesterticket bereitet dem AStA in technischer Hinsicht Kopfschmerzen. Wie dies genau funktionieren soll, geht aus dem Pflichtenheft nicht hervor. Wir gehen davon aus, dass hier an eine Thermocromicstreifenlösung gedacht wird, wie dies in der PUCK-Planung vorgesehen war.

Schon jetzt ist klar: Durch die geringe Zahl von SB-Terminals (sechs an der Zahl) wird es zu den Stoßzeiten zu langen Schlangen bis hin zum Totalausfall der Terminals kommen. Wie sich die Universitätsverwaltung in diesem Fall verhalten wird, wird noch zu klären sein. Gibt es Fallbacklösungen?

2.2 Stellungnahme zu „Projektbeschreibung“

„Darüber hinaus müssen zusätzliche Funktionen umgesetzt werden, die den Einsatz der Chipkarte durch Effektivitätszuwachs bei den Verwaltungsprozessen und durch attraktives Dienstleistungsangebot an die Studierenden sinnvoll machen.“

In diesem Satz sind zwei schwerwiegende Probleme versteckt, die wir bei der Chipkarte sehen. Ein „Effektivitätszuwachs“ bedeutet immer auch Vereinfachung und geringere Flexibilität. Im laufenden Studienverkehr kann dies zu erheblichen Problemen führen, da der Studienalltag eben nicht voll automatisierbar ist. Das Problem ist hier nicht die Chipkarte, sondern die Restriktionen der benutzten Konfiguration von HISSOS und HISPOS, so dass neben dem normalen Verwaltungsverkehr per Chipkarte auch noch Eingriffe über das Studierendensekretariat vorgenommen werden können.

Der zweite Punkt ist das „attraktive Dienstleistungsangebot“. Ist es ein attraktives Dienstleistungsangebot, wenn sich Studierende an SB-Terminals ihre Studienbescheinigungen ausdrucken oder sich an SB-Terminals zu Prüfungen anmelden können? Ist es eine besondere Dienstleistung, seine Stammdaten selber eintippen zu können, statt dies von dem dafür vorgesehenen Personal erledigen zu lassen? Die Universität wird auch nach Einführung der Chipkarte lediglich ihren Pflichten als Hochschule nachkommen. Die Umdefinierung dieser Pflichtaufgaben in Dienstleistungen bedeutet vor allem eines: die Einführung von Studiengebühren.

„Die Bezahlfunktion der Studierendenchipkarte ermöglicht das elektronische Bezahlen von Forderungen im universitätsinternen Bereich.“

Zu Beginn umfasst dies die Bezahlung von Kopien (schon jetzt als Kopierkarte realisiert) und Bibliotheksgebühren (erweiterte Bibliothekskarte). Schon um diese Funktionen zu implementieren, wird ein umfangreiches hausinternes oder externes Clearing notwendig. Um dieses Clearing effektiv zu nutzen, werden über kurz oder lang andere „Forderungen“ hinzukommen: Druckerpapier in der ZEIK, eventuell Bezahlung von Übungen oder Prüfungen – der Phantasie für Studiengebühren sind hier keine Grenzen gesetzt, da über eine Chipkarte mit zentralem Clearing nun auch endlich ohne Zusatzaufwand Mikrogebühren abgerechnet werden können.

Dienstleistungshochschule heißt in der Realität eben vor allem eines: weniger kostenfreie Leistungen und weniger flexible (durch Personal gestützte) Lösungen für den einzelnen Studierenden. Automatisierung, Massenverwertbarkeit, sowie Kostendeckung bzw. Gewinnerwirtschaftung stehen im Vordergrund.

3 Stellungnahme zum Projekt PUCK

3.1 Zutrittskontrollen für Studierende

„Die Chipkarte soll als ‚elektronischer Schlüssel’ den Zutritt zu gesicherten Bereichen ermöglichen. Zusätzlich könnte am Kartenterminal noch eine persönliche Geheimzahl abgefragt werden, die über eine Tastatur oder einen berührungsempfindlichen Bildschirm einzugeben ist.“

Zutrittskontrollen sind unserer Meinung nach nicht erforderlich. Bisher gibt es in der Universität unserer Meinung nach keine ernstzunehmenden Sicherheitsdefizite – die darf es auch nicht geben! Es handelt sich hierbei um ein sehr mächtiges Instrument, das nicht eingeführt werden sollte, ohne dass hierfür eine hundertprozentige Notwendigkeit besteht.

Über Zutrittskontrollen können Studierende diszipliniert bzw. ausgeschlossen werden, es können ganze Bewegungsschemata erstellt werden – wer war wann wo? – auf die nicht nur die Universität, sondern im Ernstfall auch andere Behörden – Beispiel Rasterfahndung – Zugriff haben. Die Bereitstellung von Computerpools gehört unserer Meinung nach zu den Grundaufgaben einer modernen Universität, so wie zum Beispiel das Bereitstellen von Bibliotheken. Es besteht also keinerlei Grund, hier Zutrittskontrollen einzuführen.

Eine weitere Frage ist das Umkehren der Beweislast. Passiert in einem Pool oder in einem anderen Raum in einem bestimmten Zeitraum etwas, z.B. Vandalismus, so stehen alle Studierenden unter Generalverdacht, die in diesem Zeitraum erfasst wurden. Inwiefern das Erscheinen der Studierenden in dieser Verdächtigenliste zu späteren Benachteiligungen oder Ungleichbehandlungen führt, ist nicht nachvollziehbar und daher sollte diese Situation von Anfang an vermieden werden.

Wir empfehlen also, auf personalisierte Zutrittskontrollen (auf die Person abzielend, nicht z.B. darauf, ob es sich generell um einen Studierenden handelt) zu verzichten und die bisher üblichen Sicherungsverfahren zu verwenden.

3.2 Zutrittsberechtigung und Arbeitszeiterfassung für MitarbeiterInnen

„Im Zusammenhang mit der Ausweisfunktion sind sowohl eine Prüfung der Zutrittsberechtigung als auch eine Erfassung der Zeiten des Betretens / Verlassens von Räumen / Gebäuden möglich. Auch die tägliche Arbeitszeit der MitarbeiterInnen kann durch entsprechende Chipkartenterminals, die als Zeiterfassungsgeräte arbeiten und zusätzlich Zutrittsberechtigungen prüfen können, automatisch werden.“

Diesen Überlegungen treten wir entschieden entgegen. Schon jetzt sind die Hochschulen sehr schlechte Arbeitgeberinnen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, befristete Arbeitsverträge und untertarifliche Bezahlungen sind üblich. Die Arbeitswelt des wissenschaftlichen Mittelbaus und studentischer Beschäftigter soll nicht noch durch solche Kontrollverfahren weiter verschlechtert werden. Hinter solchen Überlegungen versteckt sich nicht das Leitbild einer demokratischen Hochschule sondern das Leitbild eines autoritären Privatunternehmens.

4 Grundlinien unser Kritik an der Studierendenchipkarte

4.1 Notwendigkeit

Wir sehen noch nicht, warum die Einführung notwendig oder gar wünschenswert sein sollte. Es wurden bisher keinerlei Berechnungen vorgelegt, die die behauptete Personal- und Kosteneffizienz nachweisen. Wir sehen lediglich eine hohe Investitionssumme (mindestens 355.000 Euro), hohe laufende Kosten und eine starke Abhängigkeit von Unternehmen, die diese Lösungen realisieren und sich durch Wartungsverträge und Erweiterungsarbeiten eine goldene Nase verdienen werden.

Keine der geplanten Funktionen (die allgemeine Geldkartenfunktion ausgenommen) bringt wirklich eine Neuerung für die Studierenden. Auf die unhaltbaren Zustände im Dezernat 2 sollte mit einer Evaluation der Arbeitstabläufe und Personalaufstockung geantwortet werden und nicht durch die übereilte Einführung eines komplett neuen Systems, das letztendlich mit ziemlicher Sicherheit zu einem noch größeren Chaos im Dezernat 2 führen wird.

4.2 Kosten

Die Studierenden werden durch die Chipkarte belastet. Sie finanzieren die Chipkarte nicht nur mit den Studiengebühren von 51,13 € (in anderen Bereichen wird das Geld dann ja eben nicht eingesetzt), sondern auch über Pfandzahlungen, die über dem Kartenwert liegen werden.

Darüber hinaus wird die Geldkartenfunktion vom Präsidenten ganz sicher zur Abwicklung von weiteren Gebühren genutzt. Mit der Chipkarte wird erstmal nichts preiswerter, sondern tendenziell alles etwas teurer. Wo in diesem Punkt die Verbesserung für die Studierenden liegen soll, wurde uns noch nicht plausibel dargestellt.

4.3 Automatisierung

Wenn das Prüfungs- und Seminarwesen über die Chipkarte verwaltet werden soll, dann müssen die Verfahren erheblich straffer gestaltet werden. Eine Vollautomatisierung der Studienprozesse muss zwangsläufig zu einem Verlust an Vielfalt und Flexibilität führen. Gerade dies widerspricht aber dem Geist des freien Studiums.

4.4 Überwachen und Strafen

Durch das neue Hochschulgesetz wurde die sporadisch vorhandene Hochschuldemokratie komplett abgeschafft und durch eine autoritäre Führungsstruktur ersetzt. In unserem Falle hat der Präsident das alleinige Sagen über die wichtigsten Prozesse des Universitätsgeschehens. Das herrschende, antidemokratische Universitätssystem wird von uns mit allen Mitteln bekämpft und soll durch ein demokratisches Miteinander ersetzt werden.

In dieser Situation sind wir sicherlich nicht die Institution, die dem Präsidenten ohne weiteres ein so mächtiges Kontrollinstrument wie die Chipkarte in die Hand geben. Solange die Studierenden nicht maßgeblich über die Funktionalität der Chipkarte zu entscheiden haben, werden wir diesem Projekt nicht zustimmen. Zwar ist der Großteil der Funktionen, die im Pflichtenheft verzeichnet sind, als eher harmlos einzustufen, doch handelt es sich hier ja auch nur um die Planung der Akzeptanzphase. Niemand wird die Studierenden – ohne Not – nach Einführung der Chipkarte fragen, ob die Funktionen erweitert werden sollen.

Frank Richarz  [27. November 2002]

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