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von der gruppe zur veranstaltungsreihe

„SEXISM AND THE MEDIA“

sexism-sells

Anti-PC und Tabubruchrhetorik

Zeitgeist:

Postfeminismus, Tabubrüche ohne Ende, neuer Konservatismus, alter Antifeminismus

Teil II: Political Correctness und Tabubruch-Rhetorik

Die Vorträge dieses Abends befassen sich mit der gesellschaftlichen Einordnung bzw. mit möglichen gesellschaftlichen Tendenzen, die das aktuelle offensive Erscheinen von Sexismus und dessen Dethematisierung erklären könnten (welche für uns Anlass für die Veranstaltungsreihe waren).

Die ersten Fragen waren für uns:

Warum werden sexistische Inhalte in den Medien zur Zeit so wenig thematisiert? Welche Statements fallen bei der raren Thematisierung auf? Gibt es eine aktuelle gesellschaftliche Tendenz, die diese Fragen beantwortet? Wie lässt sich diese Dethematisierung einordnen und einschätzen?

Daneben fielen uns vor allem Schwierigkeiten auf, eine widerständige antisexistische Praxis zu entwickeln, welchen wir näher nachgehen wollten. Bei Überlegungen zur Intervention sieht man sich schnell mit bestimmten Zuschreibungen konfrontiert: Vorwurf der Prüderie, Sexfeindlichkeit und Humorlosigkeit; man richte sich gegen die erkämpften Rechte der sexuellen Befreiung; Abstempeln als alt-feministisch. Diese Zuschreibungen drücken eine bestimmte Haltung aus, die Sexismus nicht erkennt. Sexistische Darstellungen sind nicht schön oder lustig und auch keine sexuelle Befreiung! Sexismus bleibt eine patriarchale Unterdrückungsform.

Wir wollen im folgenden der Frage nachgehen, woher diese Vorwürfe kommen und wie sie funktionieren.

Eine Antwortmöglichkeit zu beiden Punkten ist die Konstatierung einer allgemeinen anti-emanzipatorischen Tendenz, die gekennzeichnet ist durch einen neuen Antifeminismus, der auch durch den Modebegriff Postfeminismus gestützt wird, sowie durch einen soziopolitischen neokonservativen Backlash.

(Der erste Teil des Vortrags findet sich unter dem Stichwort “Postfeminismus” auf der Homepage.)

Im zweiten Teil des Vortrags wird es anhand von zwei Beispielen um konkrete Argumentationsmuster des Backlash gehen, welche diese neokonservative, antifeministische Tendenz illustrieren: der Begriff Political Correctness und die dazu eingenommene Anti-PC-Haltung und ein aktuelleres, im Moment präsenteres Beispiel: die Rhetorik des Tabubruchs

Beide rhetorischen Muster finden sich nicht nur im Bereich Feminismus/Sexismus, sondern in nahezu allen gesellschaftlichen Themenfeldern. Unser Hauptfokus liegt zwar auf dem Bereich Sexismus, wir finden aber gerade interessant, dass sich diese antiemanzipatorische Tendenz in diversen gesellschaftlichen Umbrüchen der letzten Zeit etwa seit Beginn der 90er Jahre zeigt und sich als neokonservativer Backlash bezeichnen lässt. Daher wollen wir immer wieder Bezüge zu anderen Themenfeldern und gesellschaftlichen Veränderungen herstellen.

Anti-Political-Correctness-Haltung

Die Diskussion um Political Correctness ist in diesem Rahmen interessant, weil sie einen neuen Antifeminismus stützt, legitimiert und in gewisser Weise auch neu strukturiert.

Ich fand die Debatte sehr aufschlussreich, um zu sehen, wie genau dieses Argument oder Pseudo-Argument funktioniert. Diese Funktionsweise macht die vorgebliche Modernisierung dieses neuen Konservatismus deutlich.

Erste Einordnung des Begriffs: Political Correctness

Der Begriff Political Correctness bezeichnet eine bewusste politische Korrektheit sprachlicher und bildlicher Äußerungen, besonders in Bezug auf die Vermeidung von Rassismen und Sexismen. PC ist aktuell in der etablierten Verwendung negativ konnotiert (eine Ausnahme stellt der positiv verwandte Gebrauch in Teilen der Linken dar, also eher eine elitäre Verwendung). Diese negative Konnotierung wird vor allem von der konservativen Rechten getragen, die daher eine klare Anti-PC-Haltung einnimmt.

Ein Beispiel für diese Anti-PC-Haltung wäre die Meinung: “Politisch korrekte Gleichstellungsbeauftragte verhindern die Aufstiegsmöglichkeiten von Männern an den Universitäten.” Solch eine Argumentation mag uns zunächst völlig absurd erscheinen, ist tatsächlich aber sehr verbreitet.

Ich beziehe mich im Folgenden ausschließlich auf diese negativ konnotierte Verwendung, die ich als Anti-PC-Haltung bezeichne.

Die gesamte Debatte um PC ist vor allem ein medialer Diskurs, der in den Printmedien geführt wird.

Simon Möller gibt in seinem Buch mit dem Titel “Sexual Correctness – Die Modernisierung antifeministischer Debatten in den Medien” von 1999 einen guten Überblick über die Debatte.

Sein Ausgangspunkt ist die Analyse des Mediendiskurses über Geschlechterverhältnisse unter Berücksichtigung aktueller sozialer Prozesse in Deutschland anhand von Beispielen aus den Printmedien (Spiegel, Focus, SZ, FAZ, Zeit). Seine Hauptthese lautet: Es gibt einen Backlash, der einen modernen Antifeminismus etabliert.

Dies zeigt er an der Debatte um Political und Sexual Correctness auf, welche in Deutschland Mitte der 90er Jahre begann. Möllers Aufhänger ist der Roman “Der Campus” von Dietrich Schwanitz von 1995, der später auch verfilmt wurde, und dessen Inhalt die Debatte um PC und SC in Deutschland entfachte bzw. antifeministische Tendenzen der 90er widerspiegelte. In dem Buch geht es um einen Universitätsprofessor, der durch einen falschen Missbrauchsvorwurf alles verliert (Karriere und Familie). Hier findet eine klassische Umkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses statt: Der zu Unrecht beschuldigte Mann erscheint als Opfer der Gleichstellungsbeauftragten, die im Sinne der PC für die Rechte der Frauen kämpfen und ihn völlig fertig machen.

Genau in diesem Sinn wurde “Der Campus” begeistert aufgenommen; endlich sei die Wahrheit über die schrecklichen Zustände an den Unis, die von Frauen regiert werden, mal gesagt worden. Der Spiegel drückt das folgendermaßen aus: Für die Universität von heute gelte, “wer nicht politisch korrekt ist, etwa vor der großen Femi-Göttin nicht niederkniet und Multikulti nicht romantisch findet, dem droht Ausgrenzung.” (Spiegel Nr. 6, 1998, Fritz Rumler)

Hackmann, der Professor aus dem “Campus” zieht am Ende des Romans sein Resümee: Er erscheint als Opfer der “neuen Enthusiasten des Gewissenssterbens” und eines “fundamentalistischen Moralismus”. Insgesamt wird der Eindruck vermittelt, die Universität habe abgewirtschaftet und werde von “Hilfsbütteln der Gesinnungspolizei” und einem “Haufen Feministinnen und Fundamentalisten” regiert, gegen die man nur um den Preis der eigenen Karriere aufbegehren könne. Wahrheit und Wissenschaft hätten darunter zu leiden.

Begriffsgeschichte “Political Correctness“ (PC) und “Sexual Correctness“ (SC)

a) in den USA:

PC wurde zunächst im Zuge der Herausbildung von identitätspolitischen Gruppen besonders im akademischen Bereich gebraucht (80er Jahre), z. B. als Schlagwort bei der Umgestaltung von Uni-Lehrplänen, um linke, feministische, multikulturalistische Themen einzubeziehen.

Eine Verkehrung des Begriffs fand durch konservative KritikerInnen von Identitätspolitik direkt statt, die PC ironisierten und zum Kampfbegriff gegen eine angebliche linke Hegemonialkultur und Gedankenüberwachung gebrauchten. Sie verglichen diese neue Formen von Hochschulpolitik mit der repressiven McCarthy-Ära der 50er Jahre und sprachen von einer “Atmosphäre der Unterdrückung”.

Konservative Massenmedien besetzen den Begriff bis heute mit ihrer Interpretation des Feindbildes PC, was dadurch begünstigt wird, dass der Neologismus PC allgemein unverständlich ist und so eine Deutungshoheit leicht hergestellt werden konnte.

Sexual Correctness stellt einen wesentlichen Strang in der PC-Debatte dar. Hierbei geht es um die Bereiche von Political Correctness, die Frauen und Sexualität betreffen.

Erstmalig wurde der Begriff in innerfeministischen Debatten um weibliche Sexualität verwendet, in denen es insbesondere um die Bewertung von Pornografie und lesbischen SM-Praktiken ging.

Eine breitere Öffentlichkeit erhielt der Begriff erst durch seine Verwendung in den Massenmedien. Er tauchte bei Berichterstattungen über sexuelle Übergriffe mit Beteiligung von Prominenten auf (z. B. die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Mike Tyson oder die sogenannte “Lewinsky-Affäre” von Bill Clinton).

Das Argumentationsmuster zielt hier ganz klar auf eine Diskreditierung der Opfer durch eine Täter/Opfer-Umkehrung: den Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, wird unterstellt, sie gebrauchten diesen Vorwurf gegenüber Männern, um ihre eigene Macht durchzusetzen. Es wird das verbreitete Vorurteil aufgebaut, dass jeder Frau, die den Vorwurf erhebe, Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein, immer geglaubt werde, obwohl in der Realität das Gegenteil der Fall ist. Dabei helfe der Frau der gültige Anspruch der Sexual Correctness. Hier werden patriarchale Machtverhältnisse völlig ausgeblendet und umgedeutet. Auf die Spitze getrieben wird diese Umkehrung durch Äußerungen wie: Durch Sexual Correctness wird das “normale Liebeswerben” verboten.

Als Kampfbegriff wurde SC mit ähnlichen Argumenten in der Debatte um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und deren juristische Anerkennung als Diskriminierung gebraucht, was als eine weitere Ausgeburt der Sexual Correctness betrachtet wurde.

b) in der BRD:

Einen eigenständigen akademischen Ursprung wie in den USA haben die beiden Begriffe nicht.

Die Begriffe tauchten erstmalig Anfang der 90er Jahre in der Berichterstattung über Tendenzen zu SC/PC in den USA auf. Das heißt, dass sie quasi direkt in ihrer umgedeuteten Form aufgegriffen wurden. Dazu wurde aber auch von einer angeblich existierenden PC-Bewegung innerhalb Deutschlands gesprochen: Dieter E. Zimmer bezeichnet in einem Zeit-Artikel von 1993 “Political Correctness” als “ein bestimmendes Element der öffentlichen Meinung”. Diese Bewegung wird allerdings nie näher benannt, sondern als eine diffuse Größe oder Macht fantasiert. Es gibt auch keine relevanten linken Gruppierungen, die sich freiwillig dieses Etikett anhaften. PC ist also vor allem das Produkt eines medialen Diskurses (in der BRD noch stärker als in den USA).

Die Konstruktion einer angeblichen PC-Bewegung läuft in der BRD parallel zum umfassenden gesellschaftlichen Sozialabbau, der vom Beginn der 90er bis heute anhält.

Beispiele für die Verbreitung der Anti-PC-Haltung liefern folgende Buchtitel der Populärwissenschaft:

“Politische Korrektheit in Deutschland: Eine Gefahr für die Demokratie.” (Behrens, Rimscha 1995)

“Political Correctness: Ein Gespenst geht um die Welt.” (Bonder 1995)

“Die Diktatur der Guten – Political Correctness” (Groth, 1996)

Ein weiteres, besonders auffälliges Beispiel der Anti-PC-Ausprägung ist eine Kampagne der rechten Zeitung “Junge Freiheit” von 1996 unter dem Motto “PC – Nein danke! Gegen Intoleranz und Tugendterror”.

Der Begriff SC wurde 1994 zum Thema, als über das Beschäftigtenschutzgesetz diskutiert wurde, welches vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schützen soll – die Argumentation lief hier ähnlich wie in den USA ab.

Insgesamt richtet sich die Anti-PC-Haltung in der BRD gegen die Linke und besonders gegen das Feindbild “der Feministin”. Von Beginn der Debatte in Deutschland rücken Frauen und damit auch die Sexual Correctness, auch wenn dies nicht immer so benannt wird, in den Mittelpunkt. So schreibt 1995 ein FAZ-Autor zum Auftauchen des Phänomens PC in Deutschland: “PC ist eine Sache von Minderheiten, in den Vereinigten Staaten also vor allem eine Angelegenheit der Schwarzen und anderer ethnischer Gruppen. Aber Deutschland ist kein Vielvölkerstaat, zumindest noch nicht, und deshalb wurde political correctness, seitdem sie auch bei uns in Mode gekommen ist, zum Reservat der Frauen.”

Interessant ist außerdem, dass in den USA und in der BRD die Begriffe PC und SC nicht nur in den konservativen und liberalen Zeitungen behandelt werden, sondern in erheblichem Maß auch in Romanen, Filmen und populärwissenschaftlicher Literatur. In den Diskussionen vermischen sich dadurch reale und fiktive Beispele. Fiktive Beispiele z. B. aus Romanen werden so zu realen Ereignissen umgedeutet (z. B. wird der Roman “Der Campus” in Diskussionen wie ein realer Fall behandelt). Hier wird der Alptraum der PC-KritikerInnen fiktiv geäußert. Ob es in der Realität vergleichbare Vorfälle in diesem Ausmaß gibt, würde ich erheblich anzweifeln. Dagegen ist für Frauen alltäglicher Sexismus und oft auch das Erleben von sexueller Gewalt leider Realität, worauf natürlich niemand der PC-KritikerInnen eingeht.

Argumentationsmuster und politische Funktion von Anti-PC/-SC:

Die Haupt-AkteurInnen und krassesten Äußerungen der Anti-PC-Haltung kommen, wie an den Zeitungsbeispielen zu sehen ist, zwar zunächst aus dem konservativen bis rechten Spektrum, sie zieht sich heute aber bis in linksliberale Blättchen wie die Taz durch und taucht als Argumentationsgang auch in der Linken auf.

Wie läuft genau der Argumentationsgang ab ?

Auf der einen Seite findet sich die vermeintlich existierende PC-/SC-Bewegung: Mit ihrer projizierten Existenz wird eine angebliche linke Hegemonialkultur bzw. Vormachtstellung geschaffen, die wie eine “Gedankenpolizei” die Handlungs- und Sprachfreiheit aller Individuen angreifen will. Sie ist daher charakterisiert als “antidemokratisch”, “totalitär”, “mächtig” und “bedrohlich”.

Mit dieser Hochstilisierung der PC-Bewegung rückt auf der anderen Seite die eigene Position, also die der PC-KritikerInnen, rhetorisch in die Defensive; aus dieser eingenommenen marginalisierten Position heraus gilt es zu kämpfen. Die PC-Bewegung gilt demnach als “antidemokratisch” und rückschrittig, die Anti-PC-Haltung dagegen als fortschrittlich wenn nicht gar rebellisch.

Diese Umkehrung funktioniert nur bei einer absoluten Ausblendung der realen gesellschaftlichen und patriarchalen Machtverhältnisse. Das Szenario Anti-PC baut sich in etwa so auf: Die subversiven KritikerInnen der Untergrundblättchen FAZ und Spiegel rebellieren gegen die politisch korrekte Meinungshoheit von Linken und Feministinnen. Schön wärs eigentlich… Dass die Linke und die Feministinnen, als die PC-VertreterInnen, die öffentliche Meinung und die Politik in der BRD oder sonstwo entscheidend prägen, ist leider nicht in Sicht. Die armen unterdrückten Schreiberlinge der Anti-PC-Haltung von Spiegel, FAZ usw, dürften dagegen eine höhere Wirkungsmacht und Meinungsrepräsentation innehaben.

Dieses Grundmuster der Anti-PC-Haltung, also reale Machtverhältnisse komplett auszublenden, ermöglicht eine totale Umkehrung des Täter/Opfer-Verhältnisses, wie z. B. oben beschrieben, bei der Argumentation gegen Schutzgesetze vor sexueller Belästigung.

Neben der zugeschriebenen Machtposition ist ein entscheidendes Charakteristikum der vermeintlichen PC-Bewegung ihr Moralismus. Sie tritt angeblich als Hüterin der Moral auf, wobei die moralischen Ansprüche nicht argumentativ begründet, sondern fast diktatorisch gesetzt werden. Es fehle die intellektuelle Substanz; Wahrheit und Vernunft, Wissenschaftlichkeit und Fortschritt würden von ihr bekämpft (Argumentation aus dem “Campus”).

Was ist nun die politische Funktion dieses merkwürdigen Argumentationsgangs?

Die zugeschriebene Machtposition der PC-Bewegung vereinfacht es, linke emanzipatorische Errungenschaften und Forderungen in Frage zu stellen und zu diskreditieren. PC wird zum Stigmawort, die politischen GegnerInnen, die mit diesem Begriff belegt werden, werden lächerlich gemacht und ausgegrenzt. Die PC-KritikerInnen können somit ihren eigentlichen Wertkonservatismus als rebellischen Fortschritt verkaufen.

Zudem wird der Problemhorizont verschoben: Aufgrund der zugesprochenen Inhaltslosigkeit müssen die Themen also auch nicht mehr inhaltlich kritisiert werden. Es reicht, sich gegen einen angeblichen Moralismus zur Wehr zu setzen. PC wird häufig als Worthülse verwendet, die nicht gefüllt wird und die somit viele Deutungen zulässt (außerdem werden viele Anspielungen und Metaphern gebraucht, die ebenfalls viele verschiedene Vorstellungen zulassen). Vor allem feministische Anliegen und Inhalte werden nicht inhaltlich diskutiert, sondern von vornherein als nicht diskussionswürdig oder – fähig abgestempelt.

Dazu trägt die vorgenommene Moralisierung der Debatte bei, die Diskussion wird moralisiert und nicht vergesellschaftet. Besonders auffällig ist dieses Muster in der Debatte um Sexual Correctness, die einfach als “Viktorianismus” abgestempelt wird (“Tugendterror”, “ein Haufen von Feministinnen und Fundamentalisten”). Dies ist ein ähnlicher Vorgang wie die im ersten Vortrag erwähnte Gegenüberstellung der sexy Girlies als freudvolle Post- also Nach -Feministinnen mit den prüden, unlustigen Altfeministinnen.

Hier wird also ein scheinbar modern begründeter Antifeminismus geschaffen. Es muss nicht mehr klassisch antifeministisch argumentiert werden, dass Frauen dümmere und unfähigere Menschen seien. Die Gleichstellung der Frau mit dem Mann wird vorgeblich anerkannt, aber feministische Forderungen seien ja jetzt zur Genüge umgesetzt bzw. hätten eigentlich die Oberhand im öffentlichen Diskurs inne, daher sollten es die Feministinnen nun nicht übertreiben, sondern ihre oft dogmatische Haltung und ihre Politikformen überdenken (diese Form der Anti-PC-Haltung ist wohl auch der am meisten verbreitete Aspekt dieser Argumentation in der Linken; hier freut man sich auch, die Frauenbewegung zur Geschichte zu erklären und die einzig verbliebenen Feministinnen als Dogmatikerinnen abzutun). Das vorgeblich Moderne daran ist auch, dass sich gegen die vermeintliche Diskursgewalt der Frauen durchgesetzt werden müsse und das ist ja etwas absolut Fortschrittliches (der Mechanismus, den ich oben beschrieben habe).

Tabubruch-Rhetorik

Die Tabubruch-Rhetorik verläuft nach einem ähnlichen Argumentationsschema wie das der PC-KritikerInnen. Sie ist eine äußerst beliebte rhetorische Figur bzw. ein “Argument” neokonservativer Positionen und heute wahrscheinlich die gängigere Argumentation als die Anti-PC-Haltung. Sie ist massenkompatibler weil besser verständlich als die Debatte um PC.

Außerdem stellt der Tabubruch auch eine Verschärfung der Anti-PC-Haltung dar, weil ein Tabu noch mächtiger und allgemein verbreiteter ist als eine vermeintliche PC-Instanz.

Die Tabubruch-Rhetorik funktioniert nach folgendem Schema: Es wird davon ausgegangen, dass ein bestimmtes Tabu besteht oder es wird ein vermeintliches Tabu aufgestellt (ähnlich wie das Halluzinieren einer PC-Bewegung). Das Sprechen von einem Tabu, welches aus nicht einsehbaren Gründen von meinungsmachenden Intellektuellen aufgestellt worden sei und daher angeblich eine ins Unermessliche reichende, unhinterfragte Wirkungsmacht habe, impliziert schon die Notwendigkeit dieses zu brechen. Wie bei der Anti-PC-Haltung wird so die eigene Position, die sich gegen ein Tabu durchsetzen muss, als fortschrittlich und rebellisch dargestellt.

Dieses Schema ist beliebig einsetzbar, also in allen Themenbereichen verwendbar.

Ein aktuelles Beispiel ist die Opferstilisierung der Deutschen im 2. Weltkrieg: Die krasseste Form war hier der NPD-Ausdruck des “Bombenholocaust” für die Bombardierung von Dresden. Aber auch die CDU Steglitz-Zehlendorf stand dem in nichts nach und setzte in der Bezirksverordnetenversammlung einen Antrag zum 8. Mai durch, in dem explizit deutschen Opfergruppen des 2. Weltkriegs gedacht wird: Das Bezirksamt gedenke “der Verfolgten und Ermordeten des Naziregimes, der Kriegsopfer, Flüchtlinge, Vertriebenen, geschändeten Frauen und der Opfer des sinnlosen Bombenkrieges.” KritikerInnen dieses Geschichtsrevisionismus bezeichnete Herbert Weber von der CDU als “Tugenddenker”, die “wie so häufig zur Moralkeule” gegriffen hätten.

Mit der Verwendung dieses Schemas werden Herrschaftstatsachen ausgeblendet oder verdreht. So spricht beispielsweise der Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner davon, dass ihm die “Würde der Schwulen langsam auf den Keks” gehe; in einem Soziologieseminar wird von “lesbischer Diskurshoheit” gesprochen; Schirrmacher und Matussek decken die Herrschaft der Frauen in den Medien auf; Väter sind immer Opfer von Frauen und nie Täter (Debatte zum Verbot von Vaterschaftstests)…

Bereiche, in denen besonders gerne “Tabus” gebrochen werden:

Sexismus: Anzweifeln der Definitionsmacht über erlebte sexuelle Gewalt von Seiten der Männer- und Väterbewegung wie auch von Psychologen

Antisemitismus: Möllemann, Hohmann, Walser spricht von “Auschwitzkeule” und “Moralpistole”, die jede Israelkritik unmöglich machen sollen

Rassismus/Nationalismus: “man darf ja wohl wieder stolz auf Deutschland sein”, das Musiklabel von Mia, das auf seiner Homepage unverblümt nach Gründen dafür fragt, stolz auf Deutschland zu sein; hier wäre auch nochmal AggroBerlin zu nennen, die mit Fler auf den Nationalismuszug aufspringen und über den schwarzen HipHopper B-Tight, der mit rassistischen Stereotypen vermarktet wird, antirassistische Tabus brechen

Kapitalismus: die Durchsetzung und Akzeptanzschaffung der Hartz-4-Reformen wird mit der nötigen Überwindung von veralteten Denkblockaden propagiert; Vorschläge von Rogowski, dem BDI-Vorsitzenden: Azubis im 1. Lehrjahr nicht mehr entlohnen, weil sie keinen Beitrag zur Wertschöpfung leisten; Unternehmen sollen keine Steuern mehr zahlen, weil ihr sozialer Beitrag schon mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen gegeben ist; er will keine Tabus mehr bei den Verhandlungen der Tarifpartner

Die vermeintlichen Tabubrüche laufen also entlang der klassischen Herrschaftslinien. Hier wird nochmal deutlich, dass die vorgeblichen “Tabus” keine sind. Antifeminismus, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus waren nie marginale Positionen in Deutschland und anderswo.

Aber durch Tabubrüche gerade in diesen Bereichen ist die mediale Aufmerksamkeit garantiert und die eigene konservative oder rechte Position rhetorisch ins Gegenteil verkehrt.

Anti-PC und Tabubrüche parallel zu gesellschaftlichen Veränderungen (Sozialabbau, Nationalismus)

Der Anti-PC-Diskurs in den 90ern läuft parallel zu einer Politik, die zum Diskurs der Finanzierbarkeit geworden ist und emanzipatorische Sozialpolitik völlig eliminiert hat. Mit Sachzwang-Logik wird allen Argumenten begegnet, die sich nicht dem neoliberalen Ökonomismus verpflichten. Diese politische Praxis wird als einzig mögliche und einzig vernünftige dargestellt, sowie als Umsetzung eines geistigen Wandels, alles andere wird als unvernünftig und altmodisch diskreditiert.

Passend dazu erscheint die Stilisierung einer PC-Bewegung, d. h. einer linken Hegemonie, die sich mit moralischen Bedenken dieser “geistigen Wende” widersetze und die Unausweichlichkeit dieser Politik noch nicht eingesehen habe. Die (früher vielleicht etwas allgemeinere) Akzeptanz bestimmter sozialer Grundrechte wird ausgeblendet und alleinig den halluzinierten PC-Moral-Aposteln “angehängt”, welche eine angreifbare Gruppe darstellen.

Der Anti-PC-Kampf richtet sich gegen alle möglichen Errungenschaften emanzipatorischer Politik: pazifistische und antinationalistische Positionen, Forderung nach Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, Bemühungen gegen Rassismus und Homophobie, ökologische Forderungen…

Einher mit sozialpolitischer Umstrukturierung geht ein patriarchaler Rollback, da eine traditionelle Familienstruktur für das Funktionieren einer neoliberalen Gesellschaft nötig ist, die keine sozialen Absicherungen mehr gewährleistet und dadurch gleichzeitig ein Rückverweis der Frauen auf die Familie stattfindet.

Der antifeministische Anti-SC-Kampf legitimiert in diesem Zuge den Abbau von emanzipatorischen Rechten für Frauen sowie die Propagierung eines traditionellen Frauenbildes.

Fazit/Ende

Diese Argumentationsmuster sind Beispiele für Pseudo-Argumente eines modern begründeten Konservatismus und Antifeminismus. Die Anti-PC-Haltung unterstützt das Klischee der prüden, moralischen, langweiligen Altfeministin, das uns so häufig entgegenschlägt.

Es ist ganz hilfreich, sich diese Scheinargumentation anzugucken, um sie besser zu durchschauen und als solche bloß stellen zu können. Das soll nicht heißen, dass es reichen würde, ein Wissen um die bessere Wahrheit zu schaffen, welche dann schon aufklärerisch überzeugend genug wäre. Vielmehr denke ich, dass es wichtig ist, bestimmte Argumentationen zu durchschauen und zu entlarven, um sich von diesen nicht bestimmen und einschüchtern zu lassen. Das Abstreifen der Hülle mieser Zuschreibungen kann zur Entwicklung einer eigenen Position der Stärke hilfreich sein.

Mit Titulierungen wie Postfeminismus, Political/Sexual Correctness und Tabubrüchen wird das Ende des Feminismus festgelegt und abgefeiert. Sei es durch das Schlagwort des Postfeminismus, mit dem die nach-feministische Ära ausgerufen wird, in der alle Forderungen nach Emanzipation bereits erfüllt sind oder in ähnlicher Weise durch die Kampfbegriffe Political und Sexual Correctness. Die Konstruktion einer PC- oder SC-Bewegung geht ebenso von einer Erfüllung feministischer Anliegen aus, die es nun endlich wieder zu bekämpfen gelte.

Faktisch ist eine Gleichberechtigung bzw. das Überwinden sexistischer Strukturen noch lange nicht erreicht. Vielmehr sollen mit diesen Formen des antifeministischen Gegenschlags erste emanzipatorische Ansätze im Keim erstickt werden.

Dieser antifeministische Backlash geht einher mit einem gesamtgesellschaftlichen neoliberalen Umbau, der neuen alten Konservatismus als Modernisierung darstellt.

Diese Pseudo-Argumente lassen sich aber als solche entlarven: Es ist einfach nix Neues, gegen Feministinnen und Linke zu wettern, diese als dogmatische Spinner abzutun, ohne nach den Inhalten zu fragen. Mit dem Begriff PC schön verpackt, muss man sie noch nicht mal als solche benennen, und trotzdem wissen alle irgendwie, wer gemeint ist.

Dieser blöde alte Antifeminismus zeigt aber auch, dass viele der auch schon alten feministischen Forderungen nicht an Aktualität verloren haben, zumal dann wenn allerorts mit offensiven, patriarchalen Sexualisierungen Geld und Politik gemacht wird.

Das kann für uns also weiterhin nur heißen, gegen herabwürdigende sexistische, rassistische und homophobe Darstellungen vorzugehen.

Literatur-Tipps

-Simon Möller: Sexual Correctness. Die Modernisierung antifeministischer Debatten in den Medien. Leske und Budrich. Opladen, 1999.

-Diedrich Diederichsen: Politische Korrekturen. Kiepenheuer und Witsch. Köln, 1996.

-Das Argument 213 (Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften): Political Correctness. Argument-Verlag. Berlin, 1996.

Mütze  [5. Mai 2009]

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