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» gender/Geschlecht als soziale Kategorie – Eine Anfrage der MAZ



Die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) hat am 12.08.2015 in der Beilage „MAZ MACHER. Wissenschaft und Wirtschaft“ einen Beitrag zum Thema „Rollenbilder an Hochschulen“ mit dem Titel „Das Gemachte Geschlecht“ veröffentlicht. Einen weiteren Beitrag zu diesem Thema gibt es online. Rüdiger Braun von der MAZ stellte mir dazu einige Fragen, die ich hier mit meinen Antworten veröffentliche.

Rüdiger Braun: Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie das Wort „Gender“ hören?

Jan Glogau: Bei dem Wort Gender denke ich erst einmal an das englische Wort für Geschlecht. Verbunden ist es zunächst mit einem Jahrzehnte währenden Diskurs um die Unterscheidung zwischen den sogenannten primären Geschlechtsmerkmalen (Sex) und der gesellschaftlichen Kategorie Geschlecht (Gender). Wobei die Unterscheidung hier auch zu kurz greift, weil sie die verschiedenen Schattierungen von Geschlecht nicht präzise genug beschreibt. Dadurch werden Trans*, Intersexuelle und genderqueere Menschen marginalisiert, weil die Begriffsunterscheidung sie in ein Schema presst, dass dem nicht gerecht wird.

R.B.: Sind auch Sie der Ansicht ein Großteil der Geschlechterrollen sei anerzogen?

J.G.: Nicht nur ein Großteil ist anerzogen. Es gibt noch immer Erwartungshaltungen an die Geschlechter Mann und Frau, bleibt man in der Dichotomie, sowie Attribuierungen, die Rollenbildern in einer archaischen Vorstellungswelt entsprechen. Dieses archaische Bild ist besonders von konservativer Seite in der Diskussion um die gleichgeschlechtliche Ehe zu sehen. Aber auch bei sich libertär oder fortschrittlich denkend nennenden Menschen ist das finden. Das Problem dabei ist, dass die Rollen, Erwartungen, Körpernormen immer wieder durch Werbung, Fernsehformate wie Germany’s Next Top Model oder Adam sucht Eva, Bauer sucht Frau etc. in die Köpfe implantiert werden. Wir sind alle nicht frei von diesen Rollenbildern. Was aber im Umkehrschluss nicht heißen kann, dass sie von Natur aus gegeben sind. Geschlecht, Sex und die damit verbundenen Rollenbilder sind einschränkende kulturelle Kategorien.

R.B.: Erleben Sie in Ihrem Alltag als Student oder Ansprechpartner für Geschlechterpolitik Beispiele für Geschlechterungerechtigkeit an der Universität?

J.G.: Sexistische Sprüche unter Studierenden oder sexistische Anmerkung von Professoren in Richtung von Student*innen sind an der Universität immer noch Alltag. Gerade das sogenannte catcalling ist auf den Campus oder in den Studierendenklubs immer wieder zu bemerken. Die Reduzierung von Studentinnen auf ihren Körper als Objekt der Begierde ist nichts, was vor den Toren der Universität halt macht.

In Prüfungssituationen werden Studentinnen gegenüber ihren männlichen Mitstreitern benachteiligt. Es kommt vor, dass sie in Gruppenprüfungen schlechter bewertet werden. Auch Situationen, in denen Studentinnen von Dozenten oder Professoren bedrängt werden, sind leider immer noch Alltag.

Des Weiteren sind Frauen in der Wissenschaft und gerade an der Universität Potsdam noch immer unterrepräsentiert. In Berufungsverfahren werden Frauen meist aus den Verfahren ausgeschlossen, weil sie angeblich nicht die geeignete Qualifikation nachweisen können. Die Universität ist zwar unter den Top 10 der Universitäten mit dem höchsten Frauenanteil in Professuren. Wenn man aber bedenkt, dass an der Universität nur 28 % der Professuren weiblich besetzt sind und manche Institute bis vor einem Jahr gar keine Frau auf Lehrstühlen hatte, ist das eher ein Armutszeugnis für die gesamte Wissenschaftslandschaft in der Bundesrepublik.

R.B.: Ich war überrascht, das Referat mit einem Mann besetzt zu sehen. Normalerweise sind Frauen in diesen Positionen, weil es ja zumeist auch noch um deren Benachteiligung geht. Was hat Sie an diesem Referat gereizt?

J.G.: Bei Geschlechterpolitik geht es nicht nur um die Gleichstellung von Mann und Frau, darum die Ungerechtigkeiten, Sexismus, Belästigung aufzudecken, dazu zu sensibilisieren. Es geht um eine gerechtere Hochschule im Allgemeinen. Homophobie, Misogynie, Ausschlüsse von Menschen mit Behinderung, Rassismus machen vor der Universität nicht Halt.

Ihr Erstaunen darüber, dass das Referat mit einem Mann besetzt ist, kann ich nur dadurch erklären, dass Feminismus und das was darunter Verstanden wird – nämlich Geschlechtergerechtigkeit – meist deklassierend als Frauenthema betrachtet wird: Wenn Frauen also mehr wollen, dann sollen sie gefälligst auch dafür kämpfen. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass die Gesellschaft eine männlich dominierte ist und Männer Privilegien genießen, die Frauen vorenthalten sind. Männer werden so gut wie gar nicht sexualisiert, bekommen eher einen Job mit Aussichten. Es liegt in der kulturellen Struktur, dass Menschen, die nicht weißen, männlichen, körperlichen Normen entsprechen, benachteiligter sind. Gegen diese Kultur der strukturellen Diskriminierung muss angegangen werden, denn ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen aufgrund körperlicher Merkmale benachteiligt und diskriminiert werden oder Hass und Gewalt ausgesetzt sind.

Dass ich als Mann dieses Referat bekleide, liegt einzig und allein darin, zu zeigen, dass Feminismus eben keine reine „Frauensache“ ist. Mir sind die immer wieder hervorgekramten archaischen Rollenbilder, das zweigeschlechtliche Muster unserer Gesellschaft und die männliche Vorherrschaft ein Dorn im Auge. Ich mag nicht mehr hören, was ein echter Mann sei, wie Frauen angeblich wirklich seien. Wie sind denn Frauen wirklich? Was ist denn ein echter Mann? Hat schon mal irgendwer einen gesehen? Ich nicht. Und es stellt sich mir auch die Frage, wer ist Mann und wer ist Frau? Ist die Frage tatsächlich so leicht zu beantworten?

Mein Anliegen ist es, die Arbeit von Feminist*innen zu unterstützen und Männern zu zeigen, dass es sich lohnt, sich zu verbünden und für feministische Ziele einzustehen. Denn es geht dabei um eine gerechtere Gesellschaft für alle.

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Jan Glogau  [17. August 2015]

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