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» presse/Potsdams Stadtobere haben Demokratie nicht verstanden



Studierende der Universität kritisieren politische Ignoranzkultur der Stadt

Studierende sucht man in der Potsdamer Innenstadt ähnlich vergeblich wie Geflüchtete, Arme, Jugendliche oder Menschen mit Beeinträchtigung. Öffentlich geförderter Wohnraum ist für Studierende in Potsdam ausgesprochen knapp: Gerade mal 2000 Zimmer stellt das Studentenwerk zur Verfügung. Wieviele davon auf die Breite Straße in der Innenstadt entfallen, ist in Zahlen kaum der Rede wert. Die wesentlich teureren Privatanbieter folgen mit mittlerweile über 1000 Zimmern dicht auf dem Fuß. Mit dem Studentischen Kulturzentrum KuZe in der Hermann-Elflein-Straße gibt es gerade mal ein Studierendenzentrum in der Innenstadt. Dazu kommen höchstens noch das notorisch überlaufene „Pub à la Pub“ in der Breiten Straße oder das Kneipenkollektiv „Olga“ in der Charlottenstraße. Geflüchtete sind fast gänzlich in die Vororte und auf den Brauhausberg verdrängt. Eine unbequeme Wahrheit für die politischen Eliten der Brandenburger Hauptstadt, die sich gern einen sozialen Anschein gibt: Die wenigen sozialen Treffpunkte für Marginalisierte sind größtenteils selbstorganisiert, hart erkämpft und müssen sich immer wieder aufs Neue behaupten. So zum Beispiel das vielseitig genutzte freiLand oder das Rechenzentrum, das nach 2018 vom Abriss bedroht ist. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die Stadt Potsdam überhaupt ein ernsthaftes Interesse an einer diversen Stadtgesellschaft hat, von der Studierende ein nicht zu vernachlässigender Teil sind. Die Studierendenschaft der Universität Potsdam versteht sich nicht zuletzt durch die finanzielle Förderung von Studierendenprojekten als eine nachhaltige und solidarische Partnerin der genannten selbstverwalteten Treffpunkte.

Der neueste Umgang mit dem FH-Standort in der Friedrich-Ebert-Straße am Landtag ist ein weiterer Beleg für die schonungslose Privatisierungspolitik der Stadtoberen, die auf Kosten der „Generation Praktikum“ und aller anderen geht, die durch ihre soziale Position besonders verletzbar sind. Dass sozial Benachteiligte kaum Einfluss auf politische Prozesse haben, lässt sich in der bisher wenig beachteten Pressemitteilung des Potsdamer Autonomen Frauenzentrums wunderbar nachlesen. Dass es trotz eines Bürger*innenbegehrens mit fast 15 000 Unterschriften und eines überregional beachteten Besetzungsversuchs auch weiterhin keine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Forderung nach einer sozial verträglichen Nachnutzung der Fachhochschule im Sinne einer „Stadtmitte für alle“ gibt, ist Zeichen einer politischen (Un-)Kultur der Ignoranz – gegenüber all jenen, die den Mut haben, basisdemokratisch einen Beschluss politischer Eliten zu hinterfragen oder gar in Frage zu stellen. Vor diesem Hintergrund davon zu sprechen, dass “Demokratie nicht verstanden“ worden wäre, ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die eine Politik der Beteiligung großschreiben und den Einsatz für ein „Potsdam für alle“ zum Glück für die Diversität in dieser Stadt noch nicht aufgegeben haben. Dass eine solche Politik der Ignoranz Gefahr läuft, politische Beteiligung nachhaltig zu schwächen und damit ihrerseits zu einer Bedrohung für die vielzitierte Demokratie zu werden, erklärt sich zwar von selbst. Es ist aber auch eine unbequeme Wahrheit, dass dies im Sinne eines Privilegienerhalts womöglich politisch gewollt ist. Traditionell sind Besetzungen demgegenüber ein klares Signal von politischer Unzufriedenheit und ein unmissverständlicher Ausdruck der Erfahrung, mit den eigenen Anliegen nicht gehört zu werden. Sie zeigen die Notwendigkeit zur Veränderung einer als unhaltbar empfundenen politisch-sozialen Situation an.

AStA kritisiert Polizeieinsatz als unverhältnismäßig

„Wir verurteilen das Vorgehen der Stadt Potsdam, der Leitung der Fachhochschule Potsdam und insbesondere der Polizei während und nach der Besetzung des FH-Gebäudes.“, erklärt Lukas Zechner, Referent für Hochschulpolitik. Die Besetzer*innen hatten gegenüber der FH-Leitung deutlich gemacht, dass der Hochschulbetrieb ungestört weiterlaufen könnte und nichts beschädigt werden würde. „Dennoch wurden wir Zeug*innen eines mit demokratischen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Vorgehens, bei dem ziviler Ungehorsam junger Menschen niedergeprügelt, kriminalisiert und schließlich geräumt wurde.“, kritisiert Ana Gilbert, Referentin für Antifaschismus und Antirassismus. Das polizeiliche Überaufgebot stürmte das Gebäude am Nachmittag des 13. Juli zunächst unangekündigt und machte dabei Gebrauch von Strategien wie an den Haaren reißen, Schrägen hinunterschubsen, prügeln und Einsatz von Pfefferspray. Verhältnismäßigkeit und Willkürverbot? Fehlanzeige! Wenn die Landeshauptstadt Potsdam, die FH-Leitung und das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg der Polizei nun für ihren „besonnenen Einsatz“ danken, ist dieses Urteil schlichtweg falsch und lässt an die Äußerungen eines Olaf Scholz denken, dessen Ansicht nach es beim G-20 Gipfel in Hamburg keine Polizeigewalt gegeben hätte. Schon vor Beginn der nachmittäglichen Eskalation ließen Polizist*innen Teilnehmende des Protestcamps unter dem Vorwand der angeblichen Einsturzgefahr nicht mehr in das FH-Gebäude hinein, für Toilettenbesuche wurde auf einen Gang zum Landtag oder ins Bildungsforum verwiesen. Auch Journalist*innen wurde der Zutritt zum Gebäude verwehrt – eine Einschränkung der Pressefreiheit, die ebenfalls ungut an Hamburg denken lässt. Die Machtinszenierung seitens der Polizei verstärkte sich nach der ersten Eskalation, als Polizisten sich breitbeinig auf der Treppe vor dem Haupteingang postierten und versuchten, die Inempfangnahme eines Rucksacks aus dem Innenraum des Gebäudes zu vereiteln.

Die Einschätzung des FH-Präsidenten Binas, die Besetzung hätte „keinen hochschulpolitischen Gehalt“, ist klar zurückzuweisen. Sie ist insbesondere vor dem Hintergrund der inhaltlichen Ausrichtung des Studiengangs „Soziale Arbeit“ fragwürdig, der bis zum Tag der Besetzung der einzig verbliebene Studiengang der FH in der Ebertstraße war. Was für ein Bild von sozialer Arbeit wird vermittelt, wenn die soziale Frage trotz eines fast gleichnamigen Studiengangs als außerhalb der Hochschule definiert wird? Dass Brückenschläge zwischen Hochschule und Stadtpolitik für Unileitungen durchaus bedrohlich daherkommen, lässt sich gut am Umgang der Berliner Humboldt Universität mit dem Stadtsoziologen Andrej Holm ablesen. Die Entscheidung zur sofortigen und nachhaltigen Schließung des FH-Gebäudes in der Ebertstraße ist ein autoritärer Akt. Wir halten sie für unverhältnismäßig, übereilt und politisch falsch. Wer trifft hier in wessen Namen und mit welchem Ästhetikverständnis politische Entscheidungen und setzt sie mit welchen Mitteln durch? Wie, wenn nicht mit einer politischen Grundhaltung, die Eigentum höher bewertet als ein Menschenleben, lässt sich das Verhalten eines Polizisten rechtfertigen, der einen Besetzer, der das Gebäude anstreicht, in Gefahr bringt, indem er an dessen Helm reißt? Es ist hier offensichtlich, von welcher Seite die Gewalt ausgeht. Es ist ebenfalls offensichtlich, wie paradox die Sprache der deutschen Rechtsprechung daherkommt, wenn die farbliche Sanierung eines Gebäudes als „Sachbeschädigung“ geahndet wird. Die verquere Verwendung des Begriffes „Schaden“, die in diesem Zusammenhang entsteht, ist fatal für alle, die sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie Gewalt sich definieren und überwinden lässt.

AStA fordert Öffnung und Erhalt des FH-Gebäudes

Wir fordern ein Umdenken von Politik, Polizei und FH-Leitung. Insbesondere verlangen wir zusammen mit dem AStA der Fachhochschule Potsdam eine Rücknahme der Strafanzeigen gegen die Besetzer*innen. Auch die Anzeigen zur Beihilfe an Sachbeschädigung müssen zurückgenommen werden.

Weiterhin fordern wir eine Debatte über das Verhalten der Polizei während der Besetzung. Das Urteil des „besonnenen Verhaltens“ muss zurückgenommen werden. Wir fordern außerdem, dass das Fachhochschul-Gebäude in der Ebertstraße wieder geöffnet und allen zugänglich gemacht wird – sowohl jetzt als auch langfristig. Wir wollen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Forderungen der Besetzer*innen und mit den Vorschlägen des Bündnisses „Stadtmitte für alle“. Die Besetzung der FH sehen wir als eine Intervention in eine Politik der Ignoranz, die den Verlust öffentlichen Raumes aller hinnimmt, um teure Bürogebäude, Wohnungen und Cafés für einige und mit einem Anteil von 15% ganz klar viel zu wenige Sozialwohnungen zu bauen. „Sich in der Mitte zu treffen sieht unserer Meinung nach entschieden anders aus.“, sagt Tilman Kolbe, Referent für Campuspolitik. „Als kritische Studierende wünschen wir uns einen Wertewandel hin zu mehr Basisdemokratie und eine klare Abkehr von dem autoritären Führungsstil der Potsdamer Eliten, die derzeit im Interesse der Privatwirtschaft öffentliches Eigentum zerstören.“ Laura Ranglack, Referentin für Kultur, kündigt an: „Wir bleiben ein kritischer Teil dieser Stadt. Wir lassen uns nicht spalten und verdrängen. Wir werden weiterhin verbündet an Konzepten für ein Recht auf Stadt arbeiten und sind solidarisch mit dem Beschluss der Vollversammlung der Fachhochschule vom 17.05.2017, den Standort an der Friedrich-Ebert-Straße zu erhalten.“

Jessica Obst  [31. Juli 2017]

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