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Monatelange Diskussionen umsonst: Demokatieabbau, zusätzliche Hürden für Masterstudiengänge und Zwangsexmatrikulationen beschlossen

Bert sieht die Exma-Bescheinigung oben im Hefter aufs Cindys Knien. „Hast Du auch keinen Masterplatz bekommen?“, fragt er.

Cindy wird aus ihren Gedanken gerissen, erstaunt über die direkt Frage: „Was meinst du? Ach so, wegen der Exmatrikulation hier. Na du bist gut, ich würd’ mich freuen, wenn ich den Bachelor hier hätte machen können.“

„Entschuldige, ich wollte Dir nicht zu nahe treten. Ich dachte nur, dass du vielleicht den Master hier machen wolltest und nicht angenommen worden bist. Aus meinem Jahrgang geht es ziemlich vielen so, mir auch, weil meine Durchschnittsnote nicht gut genug war.“

„Was hast Du den studiert?“

„Biologie. Und Du?“

„Hab‘ Germanistik und Politikwissenschaften studiert und bin rausgeflogen, weil ich einen Leistungsnachweis nicht rechtzeitig geschafft hab – aus welchen Gründen das nicht geklappt hat, scheint hier aber keinen zu interessieren. Wenn Du nicht schnell genug bist, fliegst Du eben“, meint sie ironisch, fast schon verbittert.

„Ach ja, diese Zwangsexmatrikulationen, davon hab‘ ich schon gehört. Meine Mitbewohnerin hat erzählt, dass sie dieses Semester in eine Pflichtveranstaltung nicht rein kam – wegen Überfüllung. Und jetzt hat sie erfahren, dass die Veranstaltung nur einmal im Jahr angeboten wird und sie exmatrikuliert werden kann, wenn sie nächstes Jahr auch nicht reinkommt. Das ist ein Riesensauerei. Was machst du denn jetzt?“

„Ich möchte Journalistin werden und so schnell gebe ich nicht auf! Hätte wohl bessern in einem anderen Bundesland studieren sollen, in dem man noch nebenbei arbeiten kann. Weißt Du… ich kriege kein BAföG und meine Eltern können mich finanziell kaum unterstützen. Ich kriege jetzt noch 164 Euro Kindergeld pro Monat und bei den Mietpreisen in Potsdam müssen durch den Nebenjob also mindestens 300 Euro zusätzlich reinkommen. Seit zwei Jahren habe ich einen Nebenjob bei einem Jugend-Magazin, der mir wirklich Spaß macht und wo ich auch was lerne. Mit ‘nem Bachelor-Abschluss hätte ich nicht nur ‘nen besseres Einkommen. Sogar mein Chef hat mir das Studium ans Herz gelegt. Ein paar Seminare aus dem ersten und zweiten Semester habe ich erst im dritten gemacht, weil ich zu den Zeiten arbeiten musste. Seit über einem Jahr hab ich auf ein Auslandssemester gespart und war bis vor zwei Wochen an der Uni in Liverpool. Dummerweise hab ich bei einem der Seminare die Prüfung nicht bestanden. Als ich das erfahren habe war ich schon in England – zur Nachprüfung konnte ich so natürlich nicht gehen. Tja und da es eines der Seminare war, für das die Fristen fast abgelaufen waren, bekam ich letzte Woche meine Exma zugeschickt. Ich hab‘ sofort mit der Studienberatung telefoniert und auch mit dem Studierendensekretariat – aber es war nichts mehr zu machen. Das iwäre schließlich mein Problem und daher die Exmatrikulation unumkehrbar.“

Bert schüttelt verärgert den Kopf: „Das ist so unfair. Und Du bist bei Weitem nicht die Erste, von der ich solche Geschichten höre.“ Nach einer Pause setzt er noch mal an: „Ich hab mir das mit dem Studium auch anders vorgestellt: Also in Biologie ist schon früher für viele Jobs eine Promotion vorausgesetzt worden. Ohne einen Master läuft auch heute noch in vielen Naturwissenschaften gar nichts. Deswegen hatte ich den Master bei mir fest eingeplant gehabt und hab‘ erst gar kein Auslandssemester gemacht. Ich ätte mich gerne etwas im Fachschaftsrat engagiert, aber da hab‘ ich lieber drauf verzichtet. Meine Abschlussnote ist eine 2,3. Das finde ich eigentlich noch ziemlich okay, aber in der neuen Zulassungsordnung der Uni steht, dass ich eine 2,0 bräuchte um weiterzustudieren. Stell‘ Dir mal vor: Das haben bei uns gerade einmal drei geschafft. Ich dachte auch, dass ich das schaffen werde, aber dann kam vor einem halben Jahr der Autounfall meiner Freundin dazwischen. Sie ist schwer verletzt ins Krankenhaus gekommen. Ich war fast jeden Tag bei ihr im Krankenhaus – sechs Wochen lang. Für die Prüfungen lernen, konnte ich einfach vergessen – ich war völlig fertig. Ein Glück, dass es ihr wieder gut geht. Ich hab‘s dann immerhin noch auf die 2,3 gebracht.“

„Aber sowas gilt doch sicher als Härtefall, kannst Du das nicht irgendwo beantragen?“

„Das dachte ich auch, bis mir von der Uni mitgeteilt wurde, das nur die Pflege naher Angehöriger ein Härtefall sind – und eine Freundin ist hier eben keine nahe Angehörige.“

Aus dem Tagtraum in die Realität

Wir verlassen jetzt unsere beiden Studierenden aus der Zukunft, die trotz dieser Rückschläge ihren Weg sicher finden werden – oder auch nicht. Die Voraussetzungen dafür, dass solche oder ähnliche Situation Realität werden können, wurden vor wenigen Wochen geschaffen: Am 19. November beschloss die große Koalition im Landtag das neue Hochschulgesetz. Die Situation, dass Studierende neben ihrem Studium arbeiten (müssen) oder kein BAföG bekommen, ist keine schlechte Utopie sondern seit Jahren Alltag von StudentInnen. Die 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes liefert dazu eindrückliche Zahlen: Das durchschnittliche Einkommen von Studierenden liegt unter der Armutsgrenze. Jede und jeder Dritte liegt sogar unter einem Betrag von 640 Euro, den die Familiengerichte als Orientierungswert für den Elternunterhalt festgelegt haben. Zwei Drittel aller Studierenden jobben neben dem Studium, 57 Prozent geben sogar an, ohne Jobben ihr Studium nicht finanzieren zu können. 70 Prozent der Studierenden in Brandenburg erhalten kein BAföG, an Universitäten sogar 78 Prozent.

Diese und andere Zahlen, Studien und Argumente haben wir im Vorfeld sowohl Wissenschaftsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) und VertreterInnen der SPD vorgetragen als auch gemeinsam mit anderen Studierenden und GewerkschafterInnen bei der öffentlichen Anhörung im Landtag vorgebracht. Offensichtlich immun gegen alle Argumente beschloss die große Koalition dennoch die Einführung der Zwangsexmatrikulation: Alle Hochschulen müssen nun Fristen für jede einzelne Prüfung setzen. Bei Fristüberschreitung werden die betroffenen Studierenden exmatrikuliert. Dieser Beschluss zeigt nicht nur, wie weit entfernt von jeglicher studentischer Realität die Große Koalition debattierte. Er zeigt auch,

dass Aussagen der SPD, die noch im Juli „sehr genau hinschauen“ wollte, um die hohe AbbrecherInnen-Quote zu verringern, nichts als leere Versprechen waren. Tatsächlich wurden wider bessern Wissens weitere Bildungshürden eingezogen. Es ist nun an der Universität Potsdam, Regelungen zu finden, welche die hier die oben beschriebenen „Tagträume“ verhindern.

Die hausgemachte Elite-Universität

Ähnlich verhält es sich bei der Sicherstellung des Übergangs zum Master-Studium: Hier ging die Universität Potsdam bei der Schaffung neuer Bildungshürden voran. Zurzeit werden immer mehr Master-Studiengänge mit Zulassungsvoraussetzungen versehen, welche die Aufnahme des Studiums kategorisch verhindern, wenn eine bestimmte Mindestnote nicht erreicht wird. Gegen derartige Zulassungsbeschränkungen wird der AStA juristisch vorgehen. Auch hier hatte die Große Koalition die Möglichkeit, solche problematischen Zulassungshürden zu verhindern und dafür die Berliner Regelung zu übernehmen. In Berlin kann eine solche Zulassungsbeschränkungen nur möglich, wenn die Kapaztäten erschöpfft sind und sie müssen fundiert begründet werden, um im Ausnahmefall eine Zulassungsbeschränkung zu rechtfertigen. Doch statt eines Schrittes hin zu einer gemeinsamen Hochschulregion Berlin-Brandenburg beschloss man, die Hochschulen sogar zur Schaffung solcher Hürden aufzufordern. Wie dadurch die Bildungsbeteiligung erhöht und dem Fachkräftemangel entgegen gewirkt werden soll, wird wohl das Geheimnis der Regierungungskoalition bleiben.

Die Gefahr der Entdemokratisierung

Ein weiterer Kritikpunkt von studentischer und gewerkschaftlicher Seite ist, dass den Hochschulen jetzt freigestellt wird, wie sie ihre interne Struktur gestalten. Auf den ersten Blick ein begrüßenswerter Schritt zu mehr Autonomie. Auf den zweiten Blick fällt aber auf, von was die Hochschulen bzw. ihre PräsidentInnen gleich mit befreit werden: von der Pflicht, in den zentralen Gremien (bisher die akademischen Senate) alle Statusgruppen über gewählte VertreterInnen mit Stimmrecht zu beteiligen. Als in den 1970er und -80er Jahren die Forderung nach mehr Hochschulautonomie von Studierenden und Gewerkschaften artikuliert wurde, hatte man die stärkere Unabhängigkeit und mehr Selbstbestimmung der „Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden“ im Sinn, aber wohl kaum die schon seit Jahren zunehmende „Autonomie“ der Hochschulleitungen vom demokratischen Willen der Hochschulmitglieder. Die Brandenburgische Studierendenvertretung (BrandStuVe) und studentische GutachterInnen hatten schon vor Monaten bei der Anhörung des Wissenschaftsausschusses des Landtages, dass auch weiterhin die demokratische Beteiligung aller Statusgruppen sichergestellt werden muss. Die Antwort der zuständigen Abgeordneten bestand lediglich darin, dass den Studierenden während der Landtagssitzung „Angstmache“ und „Hetze“ vorgeworfen wurde.

Ein erklärtes Ziel des Gesetzgebers besteht in der Verbesserung der „Qualität der Hochschulen“.Eigens dafür wurden neue Regelungen zur Evaluation eingeführt. Die Tendenz, auf das verbriefte Recht der Mitbestimmung zu verzichten, zeigte sich jedoch auch hier: Die von den Studierenden angeregte Verbesserung, dass sie „bei der Festsetzung von Qualitätszielen, Kriterien, Instrumenten oder Fragestellungen stimmberechtigt“ mitwirken, wurde abgelehnt. Es bleibt damit lediglich eine – wie auch immer geartetete – „Beteiligung“ bei der Evaluation übrig. Im Klartext: Wir müssen informiert werden, aber unsere Meinung kann einfach übergangen werden – von Stimmrecht erst gar nicht zu reden. Die Universität Potsdam ist diesen Weg bereits gegangen: Hier liegt die Steuerung der Evaluation in den Händen der Präsidentin und der Dekane – ohne jeglichen Einfluss von Studierenden.

Es kann nicht überraschen, dass wer Lebensrealitäten und Forderungen von Studierenden so konsequent ignoriert, noch nicht einmal zum Zeitpunkt der Abstimmung den Gesetzesenturf gelesen hat. Ein Glück sind bald Wahlen…

Matthias Wernicke hat im letzten Jahr an den Stellungnahmen der Brandenburgischen Studierenvertretung (BrandStuVe) mitgewirkt

Matthias Wernicke  [12. Januar 2009]

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