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Artikel 13 – Demos, Mythen und Wahrheiten

Wie Ihr hoffentlich mitbekommen habt: Unser Internet, das Internet, das wir kennen und lieben ist bedroht. Bedroht durch Artikel 13, Artikel 11, Uploadfilter, Leistungsschutzrecht und dem Ende des Providerprivilegs. Also „vertraut mir, ich weiß was ich tue“ [1] und geht zu den Safe the Internet Demos in Potsdam und Berlin.

Potsdam 10:00 Uhr Luisenplatz
Berlin 14:00 Uhr Invalidenpark

Falls Ihr noch ein paar Infos braucht; im Folgenden findet Ihr die wichtigsten. Zunächst werden Wir einige Mythen oder bewusst gestreute Falschinformationen auseinander nehmen, um uns anschließend mit Fakten und Wahrheiten zur Urheberrechtsreform und Artikel 13 beschäftigen.

Mythen und Falschaussagen

Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit“. Philip Snowden

1. Uploadfilter stehen nicht im Gesetz

Diese Behauptung hört man von Befürworter*innen der Reform immer wieder, doch sie ist ein Mythos. In Artikel 13 wurde zwar der Begriff gestrichen – doch damit sind sie noch lange nicht vom Tisch.  Sie stehen zwar in keinem Gesetz, doch sie sind die einzige Maßnahme, die das gesetzlich vorgeschriebene Ziel zur präventiven Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen, wie es in Artikel 13 beschrieben ist, sicherstellen kann.

2. Uploadfilter funktionieren.

Das behaupten Lobbyverbände wie die VG Wort [2]. Die technische Tatsache ist: Uploadfilter funktionieren nicht. Sehr gut sieht man das an bisherigen Filtersystemen. Facebook ist bekannt dafür künstlerische Darstellungen von etwas freizügigerer Haut zu stark zu zensieren, weil Kunstwerke fälschlicherweise als Pornographie klassifiziert werden. Auf der anderen Seite hat Google Schwierigkeiten damit Kinderpornographie und Verschwörungstheorien von seiner Plattform zu verbannen.

Doch auch konzeptionell funktionieren Uploadfilter nicht. Eine inhaltlich tiefer gehende Begründung findet ihr am Ende dieses Artikels.

3. Uploadfilter sind nicht schädlich.

Wie wir am Ende des Artikels sehen werden, können False Positives (zu Unrecht als Urheberrechtsverstoß erkannte Inhalte) nicht durch manuelle Überprüfung von der Löschung bewahrt werden; das heißt bei Filtern, die leistungsfähiger wären als alle, die wir bisher kennen: Für jede Urheberrechtsverletzung würden zusätzlich 20 weitere Inhalte gelöscht werden. Das ist Overblocking oder wenn man das Kind beim Namen nennt: Zensur. Besonders davon bedroht wären Memes und andere Inhalte, die auf bestehenden Inhalten aufbauen. Kurz gesagt: Wir würden den Großteil der Inhalte im Internet verlieren. Und das ohne vernünftigen Grund.

4. Das Urheberrecht muss auch im digitalen Raum gesichert werden.

Der Satz an sich mag zwar stimmen, doch er impliziert, dass das Urheberrecht im digitalen Raum – was auch immer das sein soll – abgeschafft worden wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Das Urheberrecht gilt auch digital. Urheberrechtsverletzungen wie Filesharing gingen in den letzten Jahren massiv zurück. Nicht aber, weil man weniger laxer kontrollieren oder das bisherige Löschung nach Meldung Verfahren nicht funktionieren würde. Nein. Die Zahlen sind runter gegangen, weil man den Kund*innen neue, bessere Angebote wie VoD – darunter fällt zum Beispiel Netflix – gemacht hat. Das zeigt sich wieder in Zahlen [3]. Inzwischen sorgt Musikstreaming für 46,4% des Umsatzes der Musikbranche. Und das bei gegen Null tendierenden Distributionskosten (wie sie etwa der Herstellung von CDs anfallen würden), was die Ausgaben reduziert und die Gewinne somit erhöht.

5. Verlage müssen auch in digitalen Zeiten ausreichende Einnahmequellen haben.

Tatsache ist, dass auch für Verlage durch das Internet zusätzliche Einnahmequellen entstanden sind. Früher konnten Verlage Zeitungen verkaufen und als Abo anbieten. Heutzutage gibt es mehr Möglichkeiten für Verlage Geld zu verdienen. Blendle – quasi Zeitung lesen on Demand – ist das wohl innovativste. Werbung, Freemium Modelle, Paywalls, digitale Abos, … die Möglichkeiten sind riesig, die Einnahmequellen sind gestiegen, nicht gesunken. Außerdem – aber das beleuchten wir bei den Wahrheiten näher – würden einzelne extrem große und mächtige Verlage vom Leistungsschutzrecht profitieren, aber nicht die Autor*innen. Ganz oben auf der Liste der Profiteure steht übrigens die Axel Springer AG.

6. Große Unternehmen werden besonders belastet, kleinere würden profitieren

Die Technologie hinter Uploadfiltern ist komplex. Derzeit haben sie nur US amerikanische und chinesische Großkonzerne. Sämtliche Ausnahmen von Artikel 13 sind zeitlich befristet und unterliegen strengen Regeln, welche alle erfüllt sein müssen. Auch kleinere Unternehmen müssten früher oder später (genauer: Laut Gesetzestext nach drei Jahren) Uploadfilter installieren. Die Entwicklung ist für kleine Unternehmen oder Startups aber zu aufwendig. Entsprechend müssten sie die nötige Technologie von Google oder Anderen einkaufen/lizenzieren. Das würde aber dazu führen, dass Google noch mehr Inhalte sehen und verarbeiten würde. Entsprechend würden bestehende Monopole zementiert…

Soweit zu den Mythen.

Bei dem Ausmaß an Mythen und Falschaussagen, die von Seiten der Befürworter der Reform gestreut werden, kann man die Prämisse des Satzes von Philip Snowden als erfüllt ansehen. Wenden wir uns nun den Wahrheiten und Fakten zu.

Wahrheiten und Fakten

1. Artikel 13 bzw. Uploadfilter bedeuten das Ende des Internets.

Wie in Mythos 2 und 3 dargestellt: Uploadfilter würden das Internet, das Wir kennen und lieben, zerstören.

2. Das Leistungsschutzrecht funktioniert nicht.

Erstens kommt das Geld nicht bei den Urheber*innen, sondern bei den Verlagen an. Zweitens würden nicht etwa kleine Verlage bevorzugt, sondern große. Fast 64% der Einnahmen aus dem Leistungsschutzrecht würde die Axel Springer AG erhalten [4]. Drittens benachteiligt das Leistungsschutzrecht neue Anbieter, Startups und kleine Unternehmen. Big Player wie Google können Ihre Marktmacht dazu verwenden kostenlose Lizenzen zu erhalten, während kleinere Unternehmen diese Macht nicht haben. „Ausgedachtes Szenario“, denkt Ihr jetzt vielleicht. Fakt ist: Genau dieses Szenario ist bereits eingetreten, Google bekommt den Großteil seiner Lizenzen umsonst. [5]

3. Auch andere Artikel bedrohen das Internet.

Bisher gilt im Internet die Unschuldsvermutung, genauer das Haftungsprivileg der Provider. Ein Provider haftet nicht für die Inhalte seiner Kund*innen; es sei denn er ist darüber informiert worden, dass beispielsweise ein Video urheberrechtlich geschützt ist. Der Provider muss es dann in angemessener Zeit löschen.

Dieses Haftungsprivileg soll mit Artikel 11 abgeschafft und Provider damit unter Generalverdacht gestelt werden. Auf die analoge Welt übertragen bedeutet dies, dass der Veranstalter eines Gebrauchtmarkts, bei dem viele Privatleute eigene Sachen verkaufen, bei jedem verkauften Gegenstand selbst überprüfen müsste, ob dieser verkauft werden darf (Böller ohne CE Norm beispielsweise nicht), ob der Verkäufer wirklich Eigentümer der Sache ist (und es sich nicht um Hehlerei handelt) oder welche Gesetze auch sonst noch durch den Verkauf einer Sache verletzt werden könnten. [Ich bin ITler, kein Jurist]. Kein normal denkender Mensch käme auf die Idee genau das zu fordern. Digitale Analphabeten, die das Internet als Neuland sehen, aber schon.

4. Der Fisch stinkt vom Kopf her

Ich hoffe es ist klar geworden: An dieser Urheberrechtsreform gibt es nicht einzelne Kritikpunkte. Die gesamte Reform widerstrebt sämtlichen Zielen und Grundwerten der EU, sie opfert das freie Internet, das Wir kennen auf dem Altar der Lobbyisten von Axel Springer und Co. Wir dürfen dies nicht zulassen. Deswegen: Wehrt euch gegen den Angriff, den Krieg von Fanatiker*innen wie dem Axel Springer Verlag oder Leuten wie Vollvosten. Kämpft in der Lobbyschlacht [6] für Freiheit, das Internet und Memes! Kommt am 23.03 zu den Demos!

Zuletzt schauen wir uns die Feinde des Internets genauer an. Wir beginnen mit dem wohl schärfsten Verfechter der Reform:

5. Hauptakteur: Ahnungsloser Vollvosten

Axel Voss (CDU), im Folgenden Vollvosten genannt. Der fachfremde Verhandlungsführer der EVP (zu der auch CDU/CSU gehören). Er hat weder Ahnung vom Thema, noch Moral, noch Anstand. Ich werde nicht näher ausführen, warum Vollvosten keine Ahnung vom Thema hat; denn das ist offensichtlich. Falls ihr dennoch einen Beleg wollt, kann ich nur den IT Verlag golem zitieren und jedem den zugehörigen Artikel empfehlen: „Obwohl [Vollvosten] seit anderthalb Jahren über die EU-Urheberrechtsreform verhandelt, hat [Vollvosten] noch immer zentrale Punkte in der Debatte nicht verstanden“ [7]. Politisch engagierte Menschen bezeichnet er als Bots, die Bürger*innen Europas als Mob. [8]

6. #NieWiederCDU

Zusammen mit seiner Partei (CDU), Fraktion (EVP) und Manfred Weber (CSU und Kandidat für das Amt des EU Komissionspräsidenten) plante er die Abstimmung über die Reform vorzuziehen und über die Reform somit vor den Demonstrationen am 23. März abzustimmen. Die anderen Fraktionen im Europaparlament verhinderten diese Vorverlegung. Es ist eine Sache, nicht auf Bürger*innen zu hören. Es ist eine andere Sache Abstimmungen zu verlegen, um damit Demonstrationen zu verhindern. Letzteres zeugt nicht von einem Mangel, sondern dem Fehlen eines auch nur geringsten Maßes an Moral und Anstand.

Ich bitte euch daher erneut:

Wehrt euch gegen den Angriff, den Krieg von Fanatiker*innen wie dem Axel Springer Verlag oder Leuten wie Vollvosten. Kämpft in der Lobbyschlacht [8] für Freiheit, das Internet und Memes! Kommt am 23.03 zu den Demos!


Ergänzung Mythos 2:

Ein Kollege aus dem IT Bereich, genauer Christian Reinboth, Dozent an der Hochschule Harz hat eine sehr anschauliche Rechnung angestellt. [9] Selbst unter unrealistischen Idealbedingungen, dass Filter bei einem Fotodienst unrechtmäßige Inhalte zu 96% richtig als solche erkennen könnten und lediglich 2% der rechtmäßigen Inhalte fälschlicherweise als Urheberrechtsverletzung einstufen, ergäben sich zwei Werte: Nur 0,5% von diesem Filter gemeldeten Funde sind tatsächlich Urheberrechtsverletzungen. Die restlichen 99,5% sind sogenannte False Positives. Fälschlicherweise als Urheberrechtsverletzung eingestufte Fotos, also solche, die in Wirklichkeit absolut unbedenklich sind. Mehr zu diesem Thema findet Ihr, wenn Ihr nach dem „False Positive Paradox“ mit einer Suchmaschine eurer Wahl sucht.

Reinboth eröffnet eine weitere Rechnung: Würde man die als Urheberrechtsverletzung eingestuften Fotos vor einer endgültigen Löschung manuell überprüfen, ergäbe sich folgendes:

Bei 190.000 täglich hochgeladenen Fotos von denen 3% urheberrechtlich bedenklich seien, bräuchte man bei einer Prüfungsdauer von 8 Minuten pro Foto mehr als 150 Vollzeitstellen. Dabei sind Faktoren wie Urlaub oder Krankheit noch nicht einmal berücksichtigt.

In Wahrheit arbeiten Uploadfilter aber nicht mit derartigen Erkennungsraten. In der Realität landen wir vermutlich in der Region von 60%; entsprechend mehr False Positives sind zu erwarten. Auf den großen Plattformen werden Millionen Inhalte (wie Fotos, Videominuten oder Kommentare) pro Minute hochgeladen. Keine Firma der Welt könnte das leisten; zumal es für Menschen sinnvollere Tätigkeiten gibt als unbedenkliche Fotos auf Befehl von Lobbyisten hin zu überprüfen.

[1] Frei nach Dennis Scheck

[2] https://twitter.com/gema_news/status/1098263167636041729

[3] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Marktanteil-von-Musik-Streaming-in-Deutschland-waechst-auf-46-4-Prozent-4328080.html

[4] https://www.golem.de/news/leistungsschutzrecht-so-viel-geld-wuerden-die-verlage-von-google-bekommen-1809-136436.html

[5] https://www.golem.de/news/leistungsschutzrecht-vg-media-darf-google-weiterhin-bevorzugen-1805-134412.html

[6] Den Begriff Lobbyschlacht habe nicht ich erfunden. http://www.spiegel.de/netzwelt/web/youtube-und-der-artikel-13-das-steckt-hinter-der-lobbyschlacht-a-1240496.html

[7] https://www.golem.de/news/eu-urheberrechtsreform-das-absolute-unverstaendnis-des-axel-voss-1902-139511.html

[8] https://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-Copyright-Reform-Der-Mob-erhebt-sein-Haupt-gegen-Upload-Filter-4312091.html

Das archivierte Original ist beispielsweise hier zu finden: https://medium.com/@EuropeanCommission/the-copyright-directive-how-the-mob-was-told-to-save-the-dragon-and-slay-the-knight-b35876008f16

[9] https://twitter.com/reinboth/status/1098540806972035072

Simon Dietz  [19. März 2019]

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