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» aktuelles/Dokumentiert: Rede des AStA auf der Bildungsstreik-Demo



Auf der heutigen Potsdamer Demonstration im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreikes nahmen rund 5.000 Studierende und SchülerInnen teil. Der AStA ließ sich nicht zweimal bitten und hielt eine Rede vor dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Diese Rede sei an dieser Stelle dokumentiert. Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Streikenden,

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist für uns als Vertretung der Studierenden der Universität eine besondere Freude, Euch alle hier auf der Demonstration im Rahmen des Bildungsstreikes begrüßen zu dürfen. Bereits Ende April beschloss die Vollversammlung der Studierenden an der Uni mit einer überwältigenden Mehrheit, dass sich die Studis der Uni Potsdam an diesem Bildungsstreik beteiligen. Neben der Vollversammlung haben sowohl das Studierendenparlament, die Versammlung der Fachschaften als auch der AStA den Aufruf zum Streik unterstützt.

Und das aus gutem Grund: Seit Jahren mahnen wir als Studierendenvertretung gemeinsam mit Studierenden aus dem gesamten Land die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen in Brandenburg und darüber hinaus an. Und wir haben keinesfalls den Eindruck, dass die Situation in Brandenburg oder an unserer Uni sich auch nur annähernd verbessert hat. Im Gegenteil: Nicht erst seit dem Einsetzen der Bologna-Reformprozesse wird das Lehrangebot an den Hochschulen ausgedünnt. Deutliche Zeichen sind beispielsweise an der Uni Potsdam die unbegründete und völlig fehlgeleitete Abschaffung des Lehramtsstudienganges Kunst oder die geplante Abwicklung des Studienganges Humangeographie. Auf der anderen Seite werden die Studienmöglichkeiten in den übrigen Fächern verknappt und die Wahlfreiheit im Studium eingeschränkt. Wir haben inzwischen in den Studienordnungen festgelegte Stundenpläne wie in der Schule und schreiben Klausuren anstatt wissenschaftlich zu arbeiten. Ein individuelles Lernen, welches den Begriff der Hochschule eigentlich ausmachen sollte, wird so verunmöglicht.

Die Universität Potsdam versucht zurzeit für rund 21.000 Studierende ein Lehrangebot zu sichern, obwohl die räumlichen Kapazitäten nur für 11.000 Studierende ausgelegt sind und nur DozentInnen und ProfessorInnen für rund 8.500 Studierende vorhanden sind. Die Uni entwickelte sogar ein eigenes System zur Verteilung der völlig unterdimensionierten Studienmöglichkeiten. Mittels einer mehr oder weniger willkürlichen Auswahlmaschine namens PULS wird eine Art Klassenlotterie um Plätze in Seminaren und Vorlesungen durchgeführt, bei dem das Glück beziehungsweise der Zufall entscheidet, ob man einen Platz im Seminar erhält – ohne Sitzplatzgarantie wohlgemerkt.

Und diesem Wahnsinn sind die Hochschulen im gesamten Land Brandenburg ausgesetzt: Geld gibt es nur noch für Studis in der Regelstudienzeit und hohe Abschlussquoten. Wer mit dem Tempo nicht mithalten kann oder bei der PULS-Lotterie einfach Pech hatte, wird eiskalt aussortiert. Dabei nimmt die Universität keinerlei Rücksicht auf die realen Lebensverhältnisse der Studierenden: So ist einfach nicht vorgesehen, dass rund zwei Drittel aller Studis nebenbei arbeiten müssen, um einfach ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, nur ein Bruchteil der Studis erhält staatliche Unterstützung im Rahmen des BAföG. Das ist – um es in einfachen Worten auszudrücken – zum Kotzen.

Vor zehn Jahren haben uns die Europäischen Bildungsministerinnen und -minister in ihrer Bologna-Abschlusserklärung das Blaue vom Himmel versprochen. In ganz Europa sollen wir ohne Hindernisse studieren können, die Abschlüsse sollten vereinheitlicht werden und die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen aller Hochschulen in Europa sollte garantiert werden. Die Realität ist eine völlig andere: Die Universität schafft es noch nicht einmal Seminarscheine aus Berlin anzuerkennen und pocht immer mehr darauf, dass alles in Potsdam studiert wird. Anstatt die soziale Dimension des Bologna-Prozesses in den Fokus zu rücken, wurden die Hochschulen nach den Interessen der Wirtschaft ausgerichtet: ein dreijähriges Bachelorstudium was durchaus einer Berufsschule ähnelt – nur ohne annähernd den Praxisbezug einer Berufsausbildung.

Hochschulbildung wird an allen Ecken und Enden verknappt und unter dem Stichwort Eigenverantwortung immer weiter aus dem öffentlichen in den privaten Lebensbereich transferiert: Studiengebühren, Kreditmodelle und kostenpflichtige Lehrangebote an den Hochschulen – beispielsweise für ausländische Studierende – sind hierfür klare Belege. Wir sagen hier ganz klar: Schluss mit diesem Unsinn! Es geht hier um ein Grundrecht und unsere Zukunft – und nicht um irgendeine Ware namens Bildung.

Diese Parolen und auch seitenlange Forderungen von Studierenden, den Studentenwerken und Gewerkschaften bleiben seit Jahren ungehört. Alle Reden über Bildung – besonders gern in Wahlkampfzeiten… Und es passiert nichts. Im Gegenteil: Wir werden nach Strich und Faden verarscht: An der Uni kämpfen wir zurzeit für einen freien Masterzugang: Jeder und jede, die einen Bachelor-Abschluss in der Tasche hat, muss einen Masterstudiengang studieren dürfen. Nachdem wir auf der Landesebene im vergangenen Herbst nach monatelangen Debatten, schier endlosen Diskussionen und daumendicken Positionspapieren zum neuen Hochschulgesetz gescheitert sind, treten nun unsere Befürchtungen ein, die stets von der Regierungskoalition aus SPD und CDU als Schwarzmalerei zurückgewiesen worden sind: Das Land hat sowohl die Möglichkeit von Zwangsexmatrikulationen als auch von Übergangsquoten vom Bachelor zum Master ermöglicht und den Hochschulen die Steilvorlage gegeben: Wer nicht zu den Jahrgangsbesten gehört, für den- oder diejenige ist nach dem Bachelor an der Uni einfach Schicht im Schacht. Wer im Bachelor nicht alle Prüfungen auf Anhieb besteht, läuft Gefahr einfach exmatrikuliert zu werden. Es geht hier um ganz reale Existenzen, sprich um Menschen. Deren Chancen werden seit Jahrzehnten konsequent zerstört.

Die Politik und auch die autokratische Selbstverwaltung der Hochschulen interessiert sich einen Dreck für die Interessen von Studierenden – weder der Studis von heute, noch der von morgen. Deshalb sind wir heute hier: Wir tragen in dieser gesamten Streikwoche unsere Anliegen und unsere Ansprüche an ein zukunftsfähiges Bildungssystem auf die Straße. Und wir hoffen damit auch auf entsprechende Reaktionen aus der Politik – schließlich sind in wenigen Monaten Landtagswahlen und vielleicht ist Bildung tatsächlich mal ein Grund, über das eigene Kreuz auf dem Wahlzettel genauer nachzudenken. Es muss endlich Schluss sein mit den ewigen Sonntagsreden und der elendigen, unwürdigen Mangelverwaltung der Hochschulen. In diesem Land wird eine Unmenge von Geld schlichtweg verbrannt: Ein schönes Stadtschloss für den Landtag hier, eine sinnfreie Rennstrecke da, eine Chipfabrik, die ihren Namen nicht verdient und Millionen für den Urzeit-Energieträger Braunkohle… Dass kostenfreie Bildung bis ins hohe Alter eine Notwendigkeit darstellt, zeigt sich an den diesen Entscheidungen der Landesregierung mehr als deutlich.

Wir fordern daher ganz klar eine Kehrtwende in der Hochschul- und Bildungspolitik in Brandenburg und über die Landesgrenzen hinaus, welche die öffentliche Ausfinanzierung des Bildungssystems – gemessen am realen Bedarf – als oberstes Credo hat. Wir werden nicht Klein-Bei geben und uns mit lächerlichen Mitbestimmungsklauseln in der universitären Elendsverwaltung zufrieden geben, bis unsere Forderungen umgesetzt werden!

Rock ’n Roll!

Tamás Blénessy  [17. Juni 2009]

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