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» presse/Offener Brief zur Situation chronisch und schwer kranker Studierender der Universität Potsdam



Sehr geehrter Herr Präsident Prof. Günther,
Sehr geehrte Damen und Herren,
trotz nunmehr 260.000 Neuinfektionen am heutigen Tage sollen die Coronamaßnahmen bald größtenteils fallen und auch uns Studierende wird es betreffen. Prof. Lauterbach und Herr Buschmann sprechen davon, dass die Maske „an Orten, an denen sich vulnerable Menschen befinden“ erhalten bleibe. Vulnerable Menschen sind ein Teil unserer Gesellschaft und des
öffentlichen Lebens.
Auch wir, zwei Referenten und Referentinnen des AStA-Referates für Barrierefreiheit, gehören dazu.
Wir leben jeweils mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und studieren Psychologie an unserer Universität. Wir sind mittendrin und gehören genau wie unsere gesunden Kommilton:innen an unsere Uni. Jede Infektion ist eine Gefährdung für uns. Wir haben körperlich nur wenig Ressourcen, sie zu bekämpfen und lagen aufgrund von Atemwegsinfektionen und sogar Corona in den vergangenen Jahren bereits auf der Intensivstation. So wie uns geht es noch weiteren Studierenden an der Universität Potsdam. Wir haben an unserer Universität Menschen mit schwerwiegenden chronischen Erkrankungen wie Mukoviszidose, Transplantierte, Autoimmunerkrankte und Menschen, die an Krebs erkrankt waren oder sind. Nicht zu vergessen sind Studierende mit Pflegeaufgaben und Studierende, die chronisch kranke Angehörige haben.
Mit unserem neuen AStA-Referat haben wir uns das Ziel gesetzt, den Studienalltag behinderter und körperlich – sowie psychisch kranker Studierender zu verbessern und für die Situation betroffener Studierender zu sensibilisieren. Bis dato haben wir weder in Informationsmails, noch auf weiteren Kanälen der Universität Potsdam Informationen gefunden, wie Studierenden mit schweren chronischen Erkrankungen auch trotz dem Fallen der Maßnahmen und der für gesunde Menschen wichtigen Rückkehr in den Präsenzunterricht weiterhin eine gleichberechtigte, barrierearme universitäre Bildung ermöglicht wird. Wir vermissen eine Perspektive für die kommenden Semester unter Hochinzidenzen. Schwer kranke Studierende werden vor die Wahl gestellt, gesundheitliche Gefährdung in Kauf zu nehmen oder ihr Studium unterbrechen zu müssen. Das strukturelle Problem wird auf die erkrankten Studierenden gelenkt. Wir haben einen weiteren Mehraufwand, da wir vor dem Belegen unserer Vorlesungen und Seminare Rücksprache halten müssen, ob die von uns zu belegenden Veranstaltungen auch eine Onlinemöglichkeit haben. Falls nicht, haben wir Pech gehabt. Wir müssen uns in dem Rahmen jedes Mal erneut erklären und diese eigentlich intimen Details Dozent:innen mitteilen, die uns bis dato fremd waren. Die Situation bringt uns in eine Bittsteller:innenposition – Wir sind vom guten Willen der Dozierenden abhängig, eine Lösung für uns zu finden. Unser Recht auf Teilhabe und Bildung wird auf diese Weise zur freiwilligen „Hilfeleistung“.

Da die Pandemie nach derzeitigem Kenntnisstand langwierig bleibt, hätte dies schwerwiegende Folgen für Studierende mit schweren und lebenszeitreduzierenden Erkrankungen. Das darf, gerade unter dem Anspruch, eine „Uni für Alle“ zu sein und für Inklusion zu werben, so nicht sein. Wie wird die Universität dieser Situation gerecht?
Ihr Statement im AStA-JourFixe vom 09. März, dass man dann eben nicht an einer Präsenzuni wie der Uni Potsdam, sondern an einer Fernuniversität studieren solle, wundert uns sehr. Es war genug Zeit, um inklusiv zu denken und Möglichkeiten zu erarbeiten, kranken Studierenden weiterhin Teilhabe zu ermöglichen.
Das bloße Zuschalten über Zoom über die bereits vorhandene Technik ist weder eine finanzielle Belastung, noch ein unzumutbarer Aufwand. Bereits in dieser Publikation ( https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/praesidialbereich/docs/HSW-Gespr%C3%A4ch_BehrenbeckG%C3%BCnther.pdf ) sprechen Sie, Herr Günther, auf den Seiten 136 und 137 davon, dass die Coronakrise eine „Chance, den längst überfälligen Paradigmenwechsel bei unseren Lern – und Lehrformaten nachhaltig anzugehen“ sei, fügen hinzu, dass nach Corona nichts mehr wie vorher sei und „auf Dauer“ mit hybriden Formaten gearbeitet werden solle. Auch in Anbetracht der Virussituation. Sie schreiben darin auch, dass dieses Lehrformat eine Möglichkeit sei, der Heterogenität der Studierendenschaft zu begegnen.
Allein durch das bloße Bereitstellen von Ton und Folie während Vorlesungen wird eine, soweit es in dem Rahmen möglich ist, gleichberechtigte Lehre gestaltet, da alle Studierende in dem Rahmen die Möglichkeit haben, den Lehrinhalten zu folgen und trotz den erschwerten Umständen, weniger Nachteile durch Versäumnisse zu erfahren. Das ist in sehr interaktiven Fächern im Einzelfall problematisch, aber letztendlich geht es auch darum, den Anschluss nicht zu verlieren. Eine Zuschaltung wäre daher besser als nichts.
Das Studium mit einer schweren Erkrankung bedeutet auch, einen erheblichen Mehraufwand allein durch die Auswirkungen der Erkrankung zu haben. Viele von uns müssen sehr selbstdiszipliniert täglich erhebliche Teile des Tages mit medizinischen Maßnahmen verbringen. In unseren Situationen sind es uA. tägliches Mischen von Infusionen unter mit einer OP vergleichbar sterilen Bedingungen, ein striktes Physiotherapieprogramm, das täglich diszipliniert eingehalten werden muss und die ständige Bereitschaft, flexibel auf plötzliche gesundheitliche Probleme zu reagieren.
Dazu kommen die Symptome der unterschiedlichen Erkrankungen, Fatigue, organisatorischer Aufwand, regelmäßige Termine für ambulante Therapien und stationäre Behandlungen. Es ist, als müssten wir einen anstrengenden Job neben dem Studium ausüben, dabei geht es nur darum, das Privileg, gesundheitlich einigermaßen stabil zu bleiben, zu erhalten.
Bereits im vergangenen Semester mussten wir unnötige Versäumnisse im Studium durch fehlende Onlinezuschaltung auf uns nehmen und diese aufarbeiten. So kommen wir in einen belastenden Teufelskreis zwischen dem medizinisch Notwendigen und unserer akademischen Laufbahn, welcher sich bei manchen Menschen wiederum noch weiter negativ auf den Gesundheitszustand auswirken kann. Dabei ist das mit einfachen vorhandenen Mitteln verhinderbar.
Es ist uns ein Anliegen, dass die universitäre Lehre für Alle zugänglich bleibt. Daher bitten wir Sie eindringlich, weiterhin die Zoomübertragung von Folien und Ton für Studierende zu ermöglichen, indem Sie Dozent:innen auf Studierende mit Vorerkrankungen und deren in der Coronazeit besondere Situation hinweisen, im besten Fall verbindliche Vereinbarungen zu diesem Thema finden und eine verlässliche Perspektive für diese Personengruppe für die nächsten Semester unter Corona zu ermöglichen.
Wir sind jederzeit ansprechbar. Lassen Sie uns die Situation als Chance begreifen, um Barrierefreiheit an der Universität Potsdam zu leben und als wissenschaftliche Institution diesbezüglich eine Vorreiterrolle in der Gesellschaft einzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Referat für Barrierefreiheit des 25. AStA

  [20. März 2022]

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