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Bund und Länder drücken sich vor Verantwortung

Von Bianca Hildenbrand und Heiner Fechner

Die Wohnungsnot in den deutschen Ballungsräumen und Hochschulorten spitzte sich in den vergangenen Monaten dramatisch zu. Viele ErstsemesterInnen, insbesondere ausländische Studierende, sind immer noch in Notlagern untergebracht. Die Studentenwohnheime sind voll belegt und die Wartezeiten betragen mehr als ein Jahr. Seit Jahren haben der Bund und die Länder keine Zuschüsse zum Ausbau von Wohnheimen gegeben. Es sind kaum neue Bauvorhaben in Planung – Bund und Länder beschränken sich weitestgehend auf Sanierungshilfen für bestehende Bauten. In vielen Städten, so zum Beispiel in Darmstadt, Freiburg, München, sind Protestaktionen gegen den wachsenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum angelaufen. Gerade ausländische Studierende haben es sehr schwer, eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt zu finden – nicht zuletzt aufgrund der mittels Rasterfahndung angeheizten ausländerlnnenfeindlichen Stimmung. Wer allerdings nicht innerhalb weniger Wochen einen festen Wohnsitz bei der Ausländerbehörde angeben kann, bekommt das Visum nicht verlängert. Viele der Studierenden kapitulieren vor diesem Problem.

Zu dumm, dass gerade vor einem Jahr die weltweite Kampagne zum ,,internationalen Hochschulmarketing“ des deutschen Hochschulwesens „Hi Potentials“ angelaufen ist, an der neben Bund, Ländern und verschiedenen Hochschulorganisationen auch das Deutsche Studentenwerk beteiligt ist. Die so gerufenen Studierenden kommen erwartungsfroh nach Deutschland und werden prompt buchstäblich auf die Straße gesetzt. Entsprechend drohen erste ausländische Hochschulen bereits, ihre Kooperationsverträge aufzukündigen und die Studierenden vor einer Studienaufnahme in Deutschland zu warnen. Studierendenvertretungen hatten von Anfang an gewarnt, vor eventuellen Werbemaßnahmen müssten zuerst die sozialen Voraussetzungen für eine Erweiterung des AusländerInnenstudiums hergestellt werden. Der fzs verabschiedete auf seiner letzten Mitgliederversammlung ein das Marketing ablehnendes Positionspapier. Den größten Schaden haben die ausländischen Studierenden. Die politischen EntscheidungsträgerInnen scheint das wenig zu interessieren – neben Appellen und Absichtserklärungen ist wenig zu hören. Im rot-grünen Koalitionsvertrag heißt es lapidar: ,,Es bedarf im Rahmen der Wohnungsbauförderung des Bundes neuer Anstrengungen, um das Wohnraumproblem für ausländische Studierende zu verringern.“ Lösen will man es nicht, konkrete Maßnahmen: Fehlanzeige.

Aber nicht nur ausländische Studierende sitzen auf der Straße. Betroffen sind auch viele, die sich nicht bereits im Frühsommer um eine Wohnung kümmern konnten.. Ein Anschauungsbeispiel bietet Hessen, wo sich die Landesregierung demnächst den Wahlen stellt – die Studierenden aber als zu aufgeklärte WählerInnengruppe ohnehin nicht zu ihrem WählerInnenpotential zu zählen scheint. Nicht nur die Studierenden der TU Darmstadt fühlen sich von der Landesregierung nicht ernst genommen. Soziale Belange von Studierenden sind Regierungschef Koch und Wissenschaftsministerin Wagner scheinbar vollkommen egal. Was zählt ist das Geld und der Ruf der Hochschulen. Gut betuchte Mittelstandskinder sind offensichtlich die Idealstudierenden, angepasst, ohne außercurriculares Engagement, zu einem Schnellstudium bereit. Finanzielle Entbehrungen und unbefriedigende Wohnverhältnisse stellen sichere Anreize dar, die Hochschulen schnellstmöglich wieder zu verlassen.

In der Frankfurter Rundschau äußerte sich die Pressesprecherin des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Birgit Maske-Demand: ,,Bis zu den Landtagswahlen im Februar wird sich nichts ändern“. In den neunziger Jahren bis 1997 habe das Land knapp 30 Millionen Euro für die Sanierung von Wohnheimen zur Verfügung gestellt. Angesichts der angespannten Haushaltssituation könne das Land unmöglich einspringen.

Natürlich dürfen bestehenden Wohnheime nicht verfallen, aber die Sanierung von bestehendem Wohnraum schafft keinen einzigen zusätzlichen Schlafplatz. Problematisch sind aber auch die vom Deutschen Studentenwerk geforderten Maßnahmen. Die Forderung nach ,,20.000 zusätzlichen Wohnheimplätzen für ausländische Studierende“ wird angesichts sprunghaft ansteigender Studierendenzahlen das Problem nicht lösen. Zumal immer weniger Studierende wirklich im Wohnheim leben wollen: In der Wunschliste liegt das Wohnheim laut DSW-Sozialerhebung gerade noch vor Untermiete und Eltern; Wohngemeinschaft und Wohnung allein oder mit PartnerIn erfreuen sich weitaus höherer Beliebtheit. Selbst unter den dort Wohnenden ist das Wohnheim nur für 59 % erste Wahl. Entsprechend sollte die Forderung lauten: Mehr Mietwohnraum für alle, staatliche Investitionsprogramme zur Entlastung der Wohnungsmärkte müssen her.

Um auf die bundesweite Dimension des Problems aufmerksam zu machen, läuft derzeit eine deutschlandweite Kampagne des fzs an. Mit Plakaten soll an Hochschulen und in den Kommunen für Bewusstsein gesorgt werden; weitere Kampagnenmaterialien werden voraussichtlich bald folgen.

Bianca Hildenbrand ist Referentin für Hochschulpolitik und Kultur im AStA der TU Darmstadt

Heiner Fechner ist Vorstandsmitglied des freien zusammenschluß von studentInnenschaften (fzs)

Niels Gatzke  [16. November 2002]

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