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» presse/astazeitung/Die Hochschule der Gesellschaft (az08)



Welche Funktionen erfüllen die Hochschulen, welche Rolle sollten sie spielen?

Um die aktuellen hochschulpolitischen Reformen zu diskutieren, braucht man Normen und Maßstäbe, an denen sie bewertet werden können.

Eine Diskussion über diese Kriterien wurde bisher kaum geführt, und beinahe gar nicht an den Hochschulen selbst.

Gerade die Studierenden haben oft den Eindruck, bei Fragen dieser Art nicht zu Gehör zu kommen. Das Engagement der Fachschaften und Hochschulgruppen scheint durch die professorale Mehrheit in allen Entscheidungsgremien zwecklos, der erhöhte Studiendruck durch Belegpunkte und drohende Studiengebühren nimmt den Studierenden die Zeit und Kraft, sich an Diskussionen über die Hintergründe und Folgen der Hochschulreformen beteiligen zu können.

Währenddessen hat in der Bildungspolitik – wie in anderen Bereichen auch – ein schleichender Normwechsel stattgefunden. Die Reformen werden durch Sachzwänge und eine objektive Effizienzsteigerung begründet. Solche Argumentationen sind jedoch nur scheinbar unpolitisch, da hier einfach andere Kriterien wie die gesellschaftliche Relevanz ausgeblendet werden.

Zuallererst muss man sich also die Frage stellen: Wozu gibt es Universitäten, wozu dient ein Studium, welchen Nutzen hat es?

Zum einen ist natürlich die individuelle Marktwertsteigerung zu nennen, die dem einzelnen auf dem Arbeitsmarkt Vorteile bringt. VertreterInnen dieser Ansicht setzen sich meist auch für Studiengebühren ein, da sie Bildung für eine Investition in das eigene Humankapital halten. Analog zur Ich-AG haben wir es hier mit den Studierenden als Ich-Universitäten zu tun.

Zum zweiten wird gerne mit der Investition der Gesellschaft in ihre Arbeitskräfte argumentiert, die vor allem den Standortvorteil Deutschland sichern soll. Diese Argumentation ist, ähnlich der ersten, jedoch auch auf direkten, möglichst quantitativ messbaren Nutzen beschränkt, der zudem Deutschland vorbehalten bleibt.

Welchen Wert haben aber Hochschulen und studierte Menschen darüber hinaus für die Gesellschaft? Zu dieser Diskussion möchte ich alle im nächsten Semester einladen. Dazu wird eine Veranstaltungsreihe zum Thema Hochschule und Gesellschaft stattfinden, auf die noch gesondert hingewiesen wird.

Ein paar Anregungen möchte ich schon an dieser Stelle geben, in Form von ersten Thesen, die sich, wie ich hoffe, durch die Veranstaltungsreihe und vor allem eine breite Diskussion auf allen Ebenen unserer Universität weiterentwickeln werden, falsifiziert oder ergänzt werden und Kontroversen auslösen.

Die Abhängigkeiten in dieser Gesellschaft werden immer komplexer, Politik und Wirtschaft entfernen sich von den Menschen und die Folgen der technologischen Entwicklungen sind nicht mehr absehbar. Hat eine Gesellschaft, besonders vor diesem Hintergrund, ein objektives Interesse an der Erhaltung der demokratischen Kontrolle von Herrschaftsprozessen, gesellschaftlichen Zusammenhängen und technologischen Entwicklungen, so erfordert dieses Kontrollwissen, Reflexionsvermögen und Verantwortungsbewusstsein.

Diese können an Hochschulen erlernt werden.

Verantwortungsbewusst studieren und forschen bedeutet die Verwertung der Ergebnisse zu reflektieren und zu diskutieren, aber auch, sich in gesellschaftliche Diskussionen mit dem Spezialwissen einzumischen, Entscheidungen zu beeinflussen und aktiv zu werden.

Gemeinschaftliche Nachdenklichkeit kann als Intention universitärer Bildung betrachtet werden. Dazu gehört die Relativierung des fachspezifischen Wahrheitsbegriffs, Vielfalt und Kontroverse als notwendige Bewegungsform kompetenter und demokratischer Wissenschaft und die Infragestellung der Motivation der Forschung.

Universitäten sind auch Orte der Wissenschaftskritik und der Gesellschaftskritik.

Das spiegelt sich jedoch kaum im Studienalltag wieder.

Die Studiengänge sind gemäß der Spezialisierung des eigenen Faches ausgerichtet. Prüfungs- und Studienordnungen sehen außerfachliche Veranstaltungen (philosophische, wissenschaftstheoretische oder –historische bzw. ethische Blicke auf den Studieninhalt) zu wenigen Prozent vor, sie sind jedoch selten prüfungsrelevant, bringen nicht im Stoff weiter und fallen bei überbeanspruchter Wochenarbeitszeit als erstes aus dem Stundenplan.

Die laufenden Reformen, die eine Effizienz- und Wirtschaftlichkeitssteigerung vorsehen, schränken den Freiraum der Studierenden weiter ein. Über die reine Wissensaneignung im Fachgebiet hinaus zu reflektieren, Grundsatzfragen zu diskutieren, sich breit zu bilden und zu engagieren wird immer schwieriger.

Ute Rühling  [14. Oktober 2004]

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