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Eine bildungs- und sozialpolitische Todsünde

Warum wir jede Art von Studiengebühren bekämpfen

Wenn heutzutage über die Misere der deutschen Hochschullandschaft diskutiert wird, ist quer durch (fast) alle Parteien und Lobbyverbände ein Lösungsvorschlag schnell zur Hand: die Einführung von Studiengebühren. Im Allgemeinen geht die Forderung nach Studiengebühren einher mit der Forderung nach dem Aufbau eines umfassenden Stipendiensystems und dem Verbleib der Gebühren an der jeweiligen Hochschule als zusätzliche Einnahme. Auffallend hierbei ist jedoch, dass sich Anspruch und Wirklichkeit deutlich unterscheiden.

In den Bundesländern, in denen Studiengebühren eingeführt wurden, ist keine Erhöhung der Hochschulhaushalte zu verzeichnen, eher das Gegenteil ist der Fall (zum Beispiel in Hessen). In Brandenburg gibt es zurzeit „Immatrikulations- und Rückmeldegebühren“ für die Studierenden in Höhe von 51 Euro. Diese jährliche Einnahme von über 6 Mio. Euro fließt zu 100% in Landeshaushalt. In Australien, wo 1989 „nachlaufende Studiengebühren“ eingeführt wurden, was in der aktuellen Debatte häufig als nachahmenswertes Beispiel aufgeführt wird, verhält es sich nicht anders. Diese Beispiele zeigen, dass es schlichtweg nicht möglich ist, durch Äußerungen oder Versprechen von Ministerinnen das Haushaltsrecht der zuständigen Legislative außer Kraft zu setzen. Der Ausbau eines Stipendiensystems wird mittlerweile andiskutiert. Auf den ersten Blick klingt so ein Stipendium auch noch sehr verheißungsvoll: elternunabhängig, in angemessener Höhe, ohne Rückzahlung und vieles mehr. Doch leider ist das mitnichten so. Stipendien gelten – falls überhaupt – für die Regelstudienzeit, Fachwechsel sind nicht vorgesehen, ebenso ist an eine vollständige Abdeckung aller Ausgaben nicht zu denken. Man muss also weiterhin Geld parallel zum Studium hinzuverdienen, will man nicht ein Darlehn in Anspruch nehmen und die Uni am Ende somit hoch verschuldet verlassen. Die Sozialverträglichkeit von Stipendiensystemen ist somit mitnichten gewährleistet. Durch sie steigt vielmehr der Druck auf die Studierenden, schnell durch die Uni zu kommen, weil ohne staatlichen Zuschuss, aber mit Studiengebühren das Studium überhaupt nicht mehr finanzierbar sein wird. Reichere Schichten könnten unter Umständen mit solchen Mehrausgaben leben, ärmere hingegen werden noch stärker von den Hochschulen ausgegrenzt als sie es momentan schon sind. Denn was die soziale Selektivität des Bildungswesens angeht, ist Deutschland nach wie vor Weltmeister.

Dennoch schreitet die Einführung von Studiengebühren voran. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich Brandenburg der bundesweiten Entwicklung verschließen wird. Die CDU plädiert sowieso für Gebühren, die SPD eigentlich nicht, „aber wenn es alle machen, wird man nicht drum herum kommen“ (O-Ton Matthias Platzeck).

Wie sehen denn nun die aktuellen Modelle aus? Als ersten Schritt gibt es vielerorts Gebühren für so genannte „Langzeitstudierende“. Hier versucht man, durch Vorurteile und Stigmatisierung der „faulen Studenten, die nur die Vorteile des Studentenstatus’ auf Kosten der Gesellschaft ausnutzen“ eine breite gesellschaftliche Akzeptanz zu erhalten. Anschießend folgt dann eine schrittweise Verschärfung der Studiengebühren bis hin zu allgemeinen Studiengebühren, die jede Hochschule für sich selbst festlegen darf, aber mindestens 500 Euro betragen pro Semester betragen sollte. Die Sozialverträglichkeit soll hier durch Stipendiensysteme (siehe oben) und „nachlaufende Bezahlung“ sichergestellt sein. Dazu später mehr. Zuerst einmal zu den Langzeitstudierenden.

Gebühren für Langzeitstudierende

Als Langzeitstudentin gilt vielerorts, wer die Regelstudienzeit um 50% überzieht, also statt neun mehr als 14 Semester studiert. Danach muss dann eine Strafgebühr bezahlt werden, die – je nach Bundesland – bei 500 Euro anfängt und bei derzeit 900 Euro aufhört. Doch wen kann man überhaupt für längere Studienzeiten verantwortlich machen? Volle Seminare, schlechte Betreuungsrelationen, Zwang zur Erwerbsarbeit, Änderung der privaten Lebensumstände, Prüfungen, die nur einmal im Studienjahr belegt werden können – in der studentischen Realität gibt es zahlreiche Gründe, die zu einer längeren Studienzeit führen und nicht primär der Verantwortung der Studentinnen unterliegen.

Die meisten Studierenden sind also keinesfalls freiwillig Langzeitstudentinnen, sondern sind es aufgrund externer Umstände geworden. Sollten diese Betroffenen jetzt noch einer signifikanten Strafgebühr ausgesetzt werden, so verschärft dies ihre soziale Lage nur noch, was entweder dazu führt, dass sie noch länger studieren müssen oder das Studium vorzeitig abbrechen und ohne Studienabschluss „in das Leben entlassen werden“. In Nordrhein-Westfalen existieren seit kurzem Studiengebühren in Höhe von 650 Euro für Langzeitstudierende. Als Resultat werden nach ersten Schätzungen über 50 000 Studierende die Hochschulen verlassen. Das sind etwa 10% aller Studierenden. Ob sie in einem anderen Bundesland weiter studieren oder das Studium komplett beenden, ist unklar. Zum Vergleich: in ganz Brandenburg gibt es knapp 40 000 Studierende.

Entgegen den Behauptungen der Befürworterinnen stellen die „Langzeitstudierenden“ im Allgemeinen keine besondere Belastung für die Hochschulen dar, da sie in toto nicht mehr studieren als andere. Die Ressourcen und Lehrkapazitäten, die die Hochschulen mithin aufbringen müssen, werden schlichtweg lediglich über einen längeren Zeitraum verteilt. Das Argument, dass die Betroffen nur die zahlreichen Vorteile des Studierendenstatus’ genießen würden, ist ebenfalls nicht haltbar. So sind etwa berufstätige Studierende nur solange von der Sozialversicherungspflicht befreit, wie sie ernsthaft und hauptsächlich studieren – und eben nicht arbeiten. Darauf hat das Dortmunder Sozialgericht im Juli 2004 erneut hingewiesen. „Scheinstudierende“ kommen also nicht in den Genuss dieses Privilegs – was unter Umständen auch kein besonderes Privileg ist, weil ohne Einzahlung in die sozialen Sicherungssysteme auch kein Anspruch auf Unterstützung im Bedarfsfall erwächst. Und wenn Studierende verbilligte Kinokarten bekommen, so geschieht dies keineswegs zulasten der deutschen Steuerzahlerinnen, sondern stellt vielmehr einen Konsumanreiz eines marktwirtschaftlich organisierten Unternehmens dar, das bereit ist, diesen Rabatt zu gewähren. Wo, bitte schön, ist hier das Problem?

Alles in allem soll diese Gebühr also ein Problem lösen, dessen Ursachen ganz woanders liegen. Anstatt die Studierenden zu sanktionieren, sollten die Hochschulen und Länder Maßnahmen ergreifen, um sowohl die Gefahr eines unfreiwilligen Langzeitstudiums zu minimieren – was etwa durch bessere Betreuungsbedingungen, Studienangebote und Studienfinanzierung geschehen kann -, als auch die jetzigen „höheren Semester“ mit gezielten Förderangeboten zu einem Studienabschluss zu verhelfen – etwa durch finanzielle Abschlussförderungen.

nachlaufende Studiengebühren

Nachlaufende Studiengebühren beziehen sich vor allem auf den Zeitpunkt des Bezahlens der Gebühren. Wie im Referenzland Australien ist hier das Hauptargument, dass nur diejenigen Studiengebühren bezahlen sollen, die es sich auch leisten können – und zwar sobald sie nach ihrem Studium einen Job haben und somit einen Teil ihres Einkommens an ihre Hochschule zurückzahlen können. Mit diesem Dreh soll den Gebühren das Etikett der „sozialen Gerechtigkeit“ verpasst werden.

Aber auch hier werden sozial Privilegierte bevorzugt behandelt. In Australien erhalten Studierende, die nicht nachlaufend, sondern sofort zahlen, einen Abschlag auf die Gebühren von bis zu 25%. Die Normalverdienende muss also mehr zahlen, obwohl sie von vornherein schon weniger hat. Eine ähnliche Entwicklung ist für Deutschland zu erwarten, weil anderenfalls die Einnahmen wirklich erst in drei bis fünf Jahren anfangen zu sprießen. Das Gros der Studierenden ist also mit dem Eintritt in das Berufsleben mehr oder weniger hoch verschuldet, weil „nachlaufende Studiengebühren“ nun einmal nichts anderes sind als ein Studium auf Kredit. Da die Verschuldungsbereitschaft für einen Hochschulabschluss von ‚bildungsfernen’ Familien im Vergleich zu bildungsnahen deutlich geringer ist, wird diese Situation dazu führen, dass sozial benachteiligte Schichten ihre Kinder tendenziell nicht an die Universität oder Fachhochschule schicken werden. Womit die Schere im deutschen Bildungssystem und der Wissensgesellschaft weiter aufgehen wird.

Darüber hinaus wurde in einem Gutachten für das Deutsche Studentenwerk festgestellt, dass die Akademikerinnen in Deutschland bei gleichem Einkommen wie Nicht-Akademikerinnen mehr Steuern zahlen. Der Grund hierfür liegt im progressiven Steuersystem, wodurch eine kürzere Lebensarbeitszeit beim gleichen Lebenseinkommen zu einer höheren Steuerbelastung führt. De facto gibt es also bereits jetzt eine „Akademikerinnen-Steuer“. Das Argument, dass die Studierenden für ihren Vorteil der guten Ausbildung selbst zahlen sollen, ist daher hinfällig. Darüber hinaus hat das Kölner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in einer im Januar 2004 erschienenen Studie aufgezeigt, das schon heute nahezu 50% der Gesamtausgaben für den Hochschulbereich von privaten Haushalten aufgebracht werden. Der Zugang zur höheren Bildung ist mithin längst sehr stark von der individuellen sozialen Situation abhängig – und durch Studiengebühren wird diese Tatsache noch weiter gestärkt.

Konsequenzen für die Studierwilligen und die Hochschulen

Die Konsequenzen, die die Einführung von Studiengebühren nach sich ziehen werden, sind somit offensichtlich. Ein großer der Gesellschaft wird strukturell an der aktiven Teilhabe an der Wissensgesellschaft entscheidend behindert. Dies gilt in einer verhältnismäßig kleinen Dimension bereits heute und wird umso mehr bedeutsam falls das Bundesverfassungsgericht das gebührenfreie Erststudium, wie es im Hochschulrahmengesetz festgeschrieben ist, kippen sollte und somit der Weg frei ist für Studiengebühren ab dem ersten Semester in beliebiger Höhe.

Sollten die Studiengebühren eine Höhe erreichen, mit der sie einen entscheidenden Einnahmeposten für die Hochschulen darstellen – wovon perspektivisch ausgegangen werden kann -, werden die Universitäten und Fachhochschulen ihre Fächerstruktur dementsprechend auslegen. Studierte Juristinnen und Betriebswirtinnen werden in der Masse über ein höheres Einkommen verfügen als Kunsthistorikerinnen oder Patholinguistinnen; die Entscheidung, welche Fächer zukünftig an den Hochschulen schwerpunktmäßig gefördert werden, liegt auf der Hand. Ebenso werden die Studierenden ihr Studium von Beginn an unter ein Investitionskalkül stellen (müssen), mit der Konsequenz, dass ein Ausprobieren in der ersten Phase des Studiums, ein kritisches Reflektieren des Angebots und der persönlichen Vorstellungen – mitunter ein Studienfachwechsel -, ein Betreten von neuen, unsicheren wissenschaftlichen Pfaden noch stärker als gegenwärtig angesichts des Risikos des Scheiterns und der finanziellen Konsequenzen nur noch etwas für sozial Privilegierte sein wird. Im Sinne einer emanzipativen Bildungs- und Sozialpolitik in einem Land, dessen Reichtum gemessen am Bruttoinlandsprodukt von Monat zu Monat wächst, kann und darf dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Vielmehr muss es gelingen, die aktuelle Debatte umzudrehen und die politischen Entscheidungsträgerinnen aufzufordern, mehr öffentliche Gelder für den Bildungssektor bereitzustellen, um allen Mitgliedern dieser Gesellschaft die realistische Chance auf eine Teilhabe an der Wissensgesellschaft zu ermöglichen.

Arne Karrasch  [14. Oktober 2004]

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