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Demnächst in Brandenburg? Wissenschaftsministerin Wanka wird immer aktiver

Bislang blieb Brandenburg von einem Vorstoß zur Einführung von Studiengebühren weitgehend verschont. Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) hat zwar nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Studiengebühren befürwortet (siehe Artikel „Kein Spiel mit Bildung“ in diesem Heft), jedoch hat sie sich mit konkreten Vorschlägen, Äußerungen und Gesetzesinitiativen im Vergleich zu ihren christdemokratischen Kollegen in anderen Bundesländern zurückgehalten. Seit Anfang November jedoch taucht sie mit ihrer Idee, das BAföG abzuschaffen und statt dessen eine so genannte „Grundsicherung“ einzuführen, verstärkt in der Brandenburgischen Medienlandschaft auf – so etwa in den Potsdamer Neuesten Nachrichten am 15.11. oder in der Märkischen Oderzeitung am 20.11.. Die dort propagierte Idee ist bereits etwas älter, wie auch das Wissenschaftsministerium unumwunden zugibt.

Der Wanka-Vorschlag: Bildungsbeteiligung erhöhen durch Sozialabbau

Schon 1999 schlug das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) vor, die Steuererleichterungen und andere Zuschüsse, die momentan an die Eltern aufgrund ihrer Kinder gehen, direkt an die Kinder auszubezahlen. Vereinfacht gesagt: Kindergeld an die Kinder, die Eltern gehen leer aus. Im Gegensatz dazu wird das BAföG abgeschafft, wodurch nochmals Mittel frei werden würden, die auch den Kindern zugute kommen sollen. So käme man damit auf einen Zuschuss von ca. 250 Euro pro Nase. Nach den Zahlen der 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) verfügen die Studierenden in Ostdeutschland über ein monatliches Einkommen von 666 Euro. Es kommt somit zu einem Fehlbetrag von etwa 400 Euro pro Monat. Gerechnet über zehn Semester fehlen 24000 Euro. In Wankas Gedankenwelt springt für diese Summe, die individuell natürlich höher oder niedriger liegen kann, ein „Darlehen zu äußerst günstigen Konditionen“ in die Bresche. Wohlgemerkt: „zu äußerst günstigen Konditionen“ – von 0% Verzinsung redet niemand. Zu den 24000 Euro kommen ergo noch Zinsen und Zinseszinsen oben drauf. Für den Fall, dass Studiengebühren eingeführt werden, soll es ein Extra-Darlehen geben. Das Ganze empfindet Johanna Wanka als „sozial gerecht“. Sie hat nämlich festgestellt, dass trotz der über 30jährigen BAföG-Geschichte der Anteil der sozial Schwächeren unserer Gesellschaft an den Hochschulen mit derzeit 12% sehr niedrig ist und somit das BAföG anscheinend keine adäquate Förderung darstellt.

Richtige Analyse, falsche Konsequenz. Denn die Schlussfolgerung von Wanka ist nicht, das BAföG auszubauen oder durch eine elternunabhängige Grundsicherung, die ihren Namen auch verdient, zu ersetzen. Nein, nein. Wankas Vorschlag geht dahin, die Verschuldung der Studierenden zu erhöhen, um damit die sozial schwachen Schichten verstärkt an die Hochschulen zu locken. Absurd. Denn gerade ärmere und ‚bildungsferne’ Familien verhalten sich tendenziell eher ablehnend gegenüber einem Verschuldungsrisiko für einen längeren Bildungsweg mit ungewissem Ausgang.

Stattdessen: Wahre Grundsicherung statt BAföG

Das BAföG, das zur Hälfte als nicht-rückzahlungspflichtiger Zuschuss und zur Hälfte als zinsloses Darlehen bei einer maximalen Schuldengrenze von 10000 Euro gewährt wird, ist mit seiner maximalen Höhe von 585 Euro pro Monat also die bessere Alternative. Zumal die Studierenden einen Rechtsanspruch auf dieses Geld haben. Inwieweit man zukünftig auch einen Rechtsanspruch auf ein „Darlehen zu äußerst günstigen Konditionen“ hat und wie hoch dieses Darlehen sein kann, ist ungewiss. Ein Nachteil beim BAföG ist, dass der Zuschuss elternabhängig gezahlt wird. Dem mag man entgegenhalten, dass es doch nur gerecht sei, wenn die Gesellschaft nicht der Arzttochter das Studium bezahlen muss, sondern die Eltern dies tun. Allerdings ergibt sich dadurch eine Abhängigkeit des Kindes gegenüber den Eltern – im schlimmsten Fall erstreckt sich diese Abhängigkeit auch auf die Wahl des Studienfaches, etwa wenn das Kind in die Fußstapfen der Eltern treten und eines Tages die Arztpraxis übernehmen soll. Dabei möchte die Tochter viel lieber Literaturwissenschaftlerin werden.

Um diese Abhängigkeit zu lösen und die Studierenden als eigenständige Menschen in der Gesellschaft anzuerkennen, ist eine Loslösung vom elterlichen Einkommen vonnöten. Mittels eines Steuersystems, das konsequent die Besserverdienenden stärker belastet als die unteren Einkommensschichten, kann auch das Argument, dass die Gesellschaft der Arzttochter das Studium bezahle, entkräftet werden. Denn schließlich finanziert der Arzt über seine Steuern indirekt die Bildung seines Kindes stärker als eine Krankenpflegerfamilie. Eine elternunabhängige, bedarfsorientierte Ausfinanzierung eines Studiums durch die öffentliche Hand sollte daher das Ziel sein. Nur mit einer wirklichen Grundsicherung wird es gelingen, sozial schwächere Familien an die Hochschulen zu bekommen – nicht aber mit dem Ausbau der Finanzierung von Bildung weg von der Gesellschaft und hin zum Individuum. Dann profitieren nur diejenigen, die sich ein Studium ohnehin leisten können.

Die Diskriminierung beginnt früh

Doch mit einer Grundsicherung für Studierwillige alleine ist es nicht getan. Die soziale Diskriminierung beginnt in Wirklichkeit früher. Durch ein selektives, dreigliedriges Schulsystem, durch KiTa-Gebühren, Büchergeld sowie fehlende Ganztagsschulen etwa werden schon weit vor der Entscheidung über die Aufnahme eines Studiums die Weichen für oder gegen den Zugang zur höheren Bildung gestellt. Hier muss die Studierendenschaft für die kommenden Generationen von Studis deutlich Position beziehen und sich für ein Bildungssystem einsetzen, das als Ganzes frei ist von jeglichen sozialen Hürden.

Das gilt auch und insbesondere, wenn es um die Einführung von Studiengebühren geht. Ministerin Wanka gibt allmählich ihre Zurückhaltung auf und schließt sich anderen CDU-Ländern an, wenn es um konkrete Modelle geht (O-Ton: „Es muss ein gemeinsames Konzept von CDU-Ländern geben. Da wäre ich dabei.“ Die CDU-Länder plädieren nahezu geschlossen für Studiengebühren ab dem ersten Semester in Höhe von mindestens 500 Euro.) Ein umfassendes Studiengebührenmodell würde dem ganzen Sozialabbau im Bildungsbereich noch die Krone aufsetzen.

Bei 500 Euro pro Semester wäre der Schuldenberg am Ende eines Studiums noch größer als ohnehin schon. Und dann wird von den Absolventinnen zusätzlich verlangt, eine Familie zu ernähren, Arbeitsplätze zu schaffen, ein Haus zu bauen,… Das ist schlichtweg unmöglich. Studierende sind keine eierlegende Wollmilchsäue, sobald sie ihren Abschluss haben. Und vorher schon gar nicht, eher das Gegenteil. Deutschlandweit müssen 68% der Studierenden neben ihrem Studium jobben, und zwar nicht, um sich ein Zweitauto zu kaufen, sondern um den Lebensunterhalt zu finanzieren. Tendenz steigend, wie die periodischen Sozialerhebungen des DSW beweisen. Schon heute ist die Finanzierung der höheren Bildung keineswegs eine rein öffentliche Angelegenheit. Das Kölner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) hat in einer Studie für das Jahr 2000 errechnet, dass die Kosten für die Lehre an den Hochschulen und die individuellen Lebenshaltungskosten mit jeweils ca. 14 Milliarden Euro nahezu hälftig zwischen öffentlicher und privater Hand aufgeteilt sind. Das CDU-Modell verschärft somit die Individualisierung der Kosten und der damit verbundenen Risiken und forciert den Rückzug des Staates aus der Finanzierung von Bildung. Sollte der CDU-Vorschlag Realität werden, würde das Studium voll und ganz zu einer Investitionsentscheidung werden, bei der es hauptsächlich darum geht, wie man am Ende in einen gut bezahlten Job kommt, um die Schulden wieder abzutragen. Persönliche Prioritäten und ein Studium jenseits der ökonomischen Verwertungslogik wären ein Luxus, den sich nur noch wenige Privilegierte leisten könnten. Das kann nicht der Sinn von Bildung und Universität sein.

Wie konfliktfrei das christdemokratisch geführte Wissenschaftsministerium Studiengebühren einführen und das BAföG abschaffen kann ist fraglich. Das „B“ in „BAföG“ steht für „Bundes“ (-ausbildungsförderungsgesetz) und kann somit nicht von einem einzigen Bundesland außer Kraft gesetzt werden, hier wären eine Bundesratsinitiative und die Zustimmung des Bundestages zusätzlich vonnöten. Bei den momentanen Mehrheitsverhältnissen äußerst unwahrscheinlich. Ebenfalls ist fraglich, wie weit die SPD als stärkerer Koalitionspartner in Brandenburg eine Einführung von Studiengebühren mit sich machen lässt. Erst im August 2004 haben die Sozialdemokratinnen auf ihrem Landesparteitag beschlossen, dass sie Studiengebühren ablehnen. Es ist zu hoffen, dass die Genossinnen sich noch lange an ihre bestehende Beschlusslage halten werden.

Arne Karrasch

Referat für Hochschulpolitik

Email: hopo@asta.uni-potsdam.de

Arne Karrasch  [4. Dezember 2004]

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