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» presse/astazeitung/Vom öffentlichen Raum zur privaten Werbefläche (az09)



Uni Potsdam verkauft Privatunternehmen Rechte an universitären Wandflächen

Der Ausverkauf unserer Universität hat begonnen. Seit diesem Semester stehen die Wände der Universität, senkrechte Flächen in Gängen und Seminarräumen, die Fensterbänke und freie Flächen vor Mensa und Vorlesungssälen nicht mehr uns allen gleichermaßen zu. Sie wurden an ein privates Unternehmen, Innovatives Marketing in Hochschulen GmbH (IHM), verpachtet, das nun die exklusiven Nutzungs- und damit Vermarktungsrechte genießt.

Was bedeutet das? Viele, die schon dieser Tatsache wegen aufgehorcht, sich erkundigt haben, werden die Beschwichtigungen von Seiten der Universitätsverwaltung kennen: Für die StudentInnen ändert sich nichts, nein, im Gegenteil, alles wird sogar besser. Studentische Informationen finden sich nun ausschließlich auf ausgewiesenen „StudentenInfo“-Pinnwänden, leichter zu finden, übersichtlicher, ordentlicher. Für kommerzielle Werbung werden gut sichtbare große Rahmen und Wandflächen vermietet, unberechtigterweise auf freie Flächen geklebte Information wird entfernt oder mit einem Verwarnungsgeld geahndet.

Alles nicht so dramatisch, meint das Unternehmen, und empfiehlt den Fachschaften, denen es die Wandrahmen entfernt hat, sofort eine Firma, wo sie neue kaufen (!) kann. Manche Gruppen und Zusammenschlüsse interessiert die Veränderung nicht, andere versuchen rasch auf den Zug aufzuspringen, den die Logik der Firma so wunderbar offensichtlich hinstellt, und sich selbst eigene Rahmen/Flächen zu sichern, umso besser, wenn die anderen außen vor sind… Und so argumentiert auch die Universitätsverwaltung: Wenn sich die StudentInnen nur rasch genug mit der Situation anfreunden und sich um genügend Flächen für sich selbst bemühen, profitieren sie ja nur davon.

Sie übersieht dabei, dass es darum nicht geht.

Es geht nicht allein darum, dass mit großer Wahrscheinlichkeit bald Plakate der Telekom, der Deutschen Bank und Allianz studentische Informationen verdrängen werden. Das Hauptproblem ist auch nicht, dass den Studierenden nun zu wenig Flächen für ihre eigenen Aushänge zur Verfügung stehen, sei dies der Fall oder nicht.

Das wirklich Einschneidende an diesem „Verwaltungs“-Vertrag ist, dass hier ein Stück der Universität veräußert wird, dass ein Stück öffentlichen Raumes im wahrsten Sinne des Wortes verkauft wird: etwas verkauft wird, das so nicht zu verkaufen ist.

Dies mögen viele nicht so empfinden, und das ist nicht nur verständlich, sondern zu erwarten. Wir werden seit vielen Jahren daran gewöhnt, nicht nur Universitäten nicht mehr als öffentlichen Raum oder öffentliche Institution wahrzunehmen, schon der Begriff als solcher wird immer mehr von Marktlogik und Ökonomisierung zerfressen.

Öffentlicher Raum als Merkmal jeder Gemeinschaft und Demokratie, als Stätte der Begegnung (die er zwangsläufig ist, da man im Privaten unter sich bleiben oder andere ausschließen kann, dies im öffentlichen Raum aber nicht möglich ist), des Austausches, der Konflikte, des Widerspruches, des Aufeinandertreffens verschiedener Meinungen, Kulturen, Einstellungen, damit ein Raum, in dem sich die politische Meinung bildet, solch ein öffentlicher Raum tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Er benötigt für seine Entfaltung Flexibilität, ein gewisses Maß an Freiheit, an Toleranz gegenüber dem Verschiedensein. Wer sich heute die Innenstadt, die Diskussion um den Parkeintritt oder wunderschön: den Potsdamer Bahnhof ansieht, der erkennt, in welche Richtung die Entwicklung des öffentlichen Raumes geht: hin zur Säuberung und Kommerzialisierung. Unsere Uni liegt also mehr als im Trend. Denn die IHM zahlt ihr kaum Geld, kümmert sich jedoch um das „Sauberhalten“ von Gängen und Wänden.

Und so verkauft die Universität eben nicht nur ihre Flächen, wie ein Buchladen ein Buch. Hier geht es nicht um ein Stück Wand, sondern um ein Stück der Universität, nicht als Gebäude, sondern Institution, um Kommunikation, um Diskussion. Und es geht um einen ersten Schritt, oder eher den zweiten, dritten, in einer Kette von Entwicklungen in eine Richtung, die von den meisten StudentInnen, ProfessorInnen, kaum wahrgenommen oder zumindest stillschweigend akzeptiert wird.

Von der Ordinarienuniversität, dem Humboldtschen Bildungsideal verpflichtet, aber streng hierarchisch, über die zögernde Demokratisierung nach dem zweiten Weltkrieg bis zur Gruppenuniversität bis Anfang der 90er Jahre spiegeln die Universitäten immer auch die Gesellschaft wieder. Das Ideal von Universitäten als wichtiger Teil einer funktionierenden Demokratie, als zentraler Orte der Diskussion, der Reflexion, der Hinterfragung der der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, wurde (wie die Demokratie?) nie vollkommen verwirklicht. Weder die Mitbestimmung noch der dazu nötige freie Zugang ohne „Sortierung“ zum Beispiel nach Vermögensverhältnissen wurden erreicht. Dennoch konnten die Universitäten zeitweise durchaus als eine Institution gelten, die wichtige Impulse in und für die Gesellschaft gab, seien sie technischer, künstlerischer oder politischer Natur.

Nicht nur die Gruppenuniversität, ja die gesamte Universität als öffentliche Institution wurde während der vergangenen zehn Jahre Schritt für Schritt angekratzt und abgebaut, auch das Ideal und die Idee einer Universität als Teil der Demokratie verliert sich mehr und mehr in einer Diskussion um Rentabilität, Profitorientierung und Marktkonformität. Die Ökonomisierung der gesamten Lebenswelt, diskutiert, belächelt, verteufelt und verharmlost, und ungeachtet dessen von den Medien und Politik – ungewollt? bewusst? – rasend schnell vorangetrieben, hat auch die Bildung erreicht.

Was mit Abkommen wie dem GATS (Allgemeines Dienstleistungsabkommen) 1995 auf Ebene der Welthandelsorganisation WTO begann, setzte sich über Studien, Empfehlungen und Vorgaben der OECD und der Europäischen Union fort: eine Wandlung des Bildungsverständnisses und der Einschätzungen, wie Bildung gestaltet, wozu sie dienen soll. Das Recht auf Bildung, das wir laut Grundgesetz und laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte noch immer besitzen ist dabei, zu einer Ware zu werden. Das öffentliche Gut Wissen, ein Gut, das durch Teilen wächst und freien Austausch benötigt, wird den Prinzipien eines Marktes, der auf Ausschlussprinzip und Rivalität basiert, in seiner wirklichen Bedeutung immer fremd bleiben. Wie in vielen Bereichen wird hier ein Bereich des öffentlichen Lebens einer simplen ökonomischen Logik geopfert, die dessen Probleme weder lösen kann noch dazu gemacht ist. Orientierung und Werte kann die reine Ökonomie nicht geben, sie kann auf die drängenden Fragen nicht mehr antworten, als wie etwas effizienter und profitabler gemacht werden kann (und das kann Vermarktung eines Produktes ebenso wie ein Völkermord).

Noch immer wird Margaret Thatchers „There ist no alternative“ angerufen, um die gewaltigen Änderungen im Denken und den Schwerpunkten durchzupeitschen, die gesamte Entwicklung wird als etwas Unausweichliches dargestellt. Was die Europäische Union längst als ihr Ziel vorgibt: den Handel mit der Ware Bildung, hat seinen Weg in die Köpfe und die Sprache längst gefunden. Da wird von den Studierenden als „Kunden“ geredet, von „Service“, von „Qualitätssteigerung durch Wettbewerb“. All das zeugt von einem Bildungsverständnis, das sich nur noch am Ökonomischen orientiert, an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes, an der „Verwertbarkeit“ jeglicher Aneignung von Wissen, ja des Menschen selbst. Von den Berufswahl-Zeitschriften in der Schule bis hin zur ständigen Wiederholung in Zeitungen und Fernsehen haben wir gelernt, selbst zu den überzeugten AkteurInnen dieser Entwicklung zu werden: willig das zu wollen, was eigentlich andere wollen, um uns besser an sie verkaufen zu können. An die Universität nur die eine Anforderung zu stellen: uns in möglichst kurzer Zeit möglichst effektiv für den Arbeitsmarkt herzurichten.

Wenn man dieser Logik folgt, ja, dann ist die Folge nur konsequent. Dann sind die StudentInnen keine BürgerInnen mehr, die ihr Recht auf Bildung wahrnehmen, sondern KundInnen, die eine Leistung kaufen. Und die Universitäten sind keine öffentlichen Einrichtungen mehr, sondern Unternehmen, die Profit erwirtschaften, die nach Belieben ausschließen, verwerten, werben, verkaufen, Teil werden einer Privatwirtschaft, die ihre Profitlogik über alle Bereiche des menschlichen Lebens erstreckt.

Dann ist es allerdings die logische Folge, jeden kleinsten Teil der Uni zu verwerten, zu privatisieren und auszulagern, dem einzigen Ziel der Effizienzsteigerung folgernd. Und diese Entwicklung ist im Gange, in kleineren und größeren Maßstäben. In Marburg zahlen selbst studentische Gruppen, wenn sie etwas aufhängen möchten, an der HU (ebenfalls privat bewirtschaftet) bekommt man fürs ungenehmigte Aufhängen 50 Euro Ordnungswidrigkeit, und die Bibliothek der TU heißt jetzt Volkswagen-Bibliothek… Wie weit die Entwicklung ist, wird man nicht zuerst an den zunehmenden Privatisierungen merken, sondern daran, wie die StudentInnen, ProfessorInnen und MitarbeiterInnen diese aufnehmen. Das, was so theoretisch und weit weg klingt, ist längst Wirklichkeit – und wird mit dem Verkauf der Universitätsflächen in Potsdam für uns konkreter denn je.

Fortsetzung auf Seite 3 unten.

Vielleicht wird sich schon in wenigen Wochen niemand mehr für diese Tatsache interessieren, jede Gruppe brav die ihnen zugewiesenen Pinnwände und Rahmen nutzen und sich an den bunten Werbeplakaten auf Gängen und in den Mensen erfreuen.

Ich hoffe nicht. Am vergangenen Mittwoch fanden in Griebnitzsee erste Aktionen eines Bündnisses gegen den Verkauf der Flächen statt. Die Diskussion muss jetzt beginnen. Die Diskussion um die Flächen, um die Werbung in der Universität, aber auch die darüber, wie diese Uni sein soll, als was Bildung an sich gesehen werden soll. Es reicht nicht, ständig mit dem Argument der leeren Kassen die Diskussion zu ersticken. Sparen ist keine Begründung, nicht für, nicht gegen etwas. Der ständige Verweis auf das fehlende Geld ist zur besten Taktik geworden, um davon abzulenken, dass jegliche Verteilung von Geldern eine politische Entscheidung ist, eine Entscheidung, die mensch zu verantworten und zu begründen hat – mit mehr als dem Argument, das sei ein „Sachzwang“. Und so ist es vollkommen gleichgültig, ob die Universitätsverwaltung an dieser Maßnahmen viel, ein wenig oder kein Geld verdient. Sie folgt mit dieser Entscheidung einem Trend – aber sie macht damit auch eine deutliche Aussage, wie sie die Universität sieht.

Der Vertrag mit der Firma IHM ist zunächst auf ein Jahr geschlossen. Zeit, darüber zu streiten, zu agieren, Zeit, diesen verkauften öffentlichen Raum zurück zu gewinnen. Vielleicht ist es ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber die Diskussion über die Zukunft und der Wert der Bildung und der Universitäten findet auf vielen Ebenen statt – und auf manchen noch viel zu wenig.

Ich glaube, dass es immer noch viele gibt, die sich wehren ihr Recht auf Bildung aufzugeben, um KundInnen zu sein, die bei einem Unternehmen ein Portion Wissen kaufen. Die sich nicht als „Humankapital“ sehen, das seinen Marktwert mit möglichst vielen marktkonformen Qualitäten erhöht. Die in den Universitäten kein Unternehmen sehen, das ihnen Bildungsservice plus Konsum-Nachhilfe über Werbung bietet, sondern einen öffentlichen Raum. Einen Raum, der frei sein sollte für alle, für Diskussion und Begegnung und den kritischen Dialog, den unsere Gesellschaft so dringend benötigt. Und die schließlich in Bildung keine Ware sehen, sondern ein Recht eines jeden Einzelnen und eine Basis für das Funktionieren einer Demokratie, eine Vorraussetzung für die Möglichkeit der Mitbestimmung, die Teilnahme am politischen Geschehen, für verantwortungsvolles Entscheiden. Wie Prof. Erich Ribolits der Universität Wien in einem Interview vor zwei Jahren schrieb: „Nur gebildete Menschen, die bereit sind, Wissen selbstreflektiv und nicht bloß zum eigenen materiellen Vorteil einzusetzen, können zu einem derartigen [gesellschaftlichen] Diskurs etwas beitragen. Bildung ist das Heraustreten des Menschen aus der Sphäre des bloßen Nutzens. Über Bildung gewinnt sich der Mensch selbst als freies Wesen und er erkennt – wie es der Erziehungswissenschaftler Heinz-Joachim Heydorn einmal ausgedrückt hat – , dass die Ketten, die ihm ins Fleisch schneiden, vom Menschen angelegt sind, und dass es möglich ist sie auch zu sprengen.“

Juliane Schumacher

Referat für Sozialpolitik

Email: sopo@asta.uni-potsdam.de

Juliane Schumacher  [4. Dezember 2004]

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