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Asta warnt vor psychischer Überlastung und verschleppten Krankheiten

INNENSTADT – Erkältungen werden verschleppt, um die Praxisgebühr zu sparen. Auch Depressionen nehmen zu.

„Wegen jedes Wehwechens“ geht Ronny Besançon längst nicht mehr zum Arzt. „Ich gehe erst, wenn ich 39 Grad Fieber habe“, sagt der Referent für Sozialpolitik beim Allgemeinen Studierendenausschuss der Universität Potsdam (Asta). Der Grund: Die zehn Euro Praxisgebühr ließen ihn und viele seiner Kommilitonen zweimal überlegen, ob sie sich untersuchen ließen oder das Geld lieber in Essen und Bücher steckten. Dadurch würden Krankheiten wie Erkältungen leicht verschleppt. Das Phänomen verschärft sich, weil das Durchschnittseinkommen der Studierenden in der Region Berlin-Brandenburg bundesweit zu den schlechtesten gehört. Deshalb lägen hier die Zahlen der Arztbesuche und der Nutzung verschreibungspflichtiger Medikamente deutlich unter denen von Studenten in reicheren Bundesländern oder von erwerbstätigen Gleichaltrigen, stellte die Studie „Gesund studieren“ der Techniker Krankenkasse (TK) kürzlich fest. Die TK hatte bundesweit 130000 Studenten befragt.

Bei den Arzneimitteln gibt es nur eine Abweichung: Studenten verbrauchen überdurchschnittlich viele Antidepressiva und Medikamente für das Nervensystem. Besançon begründet dies mit dem „Stressfaktor Studienreform“.

Laut der TK-Studie geben in Nordrhein-Westfalen 40 Prozent der Studierenden die Selbstauskunft, an psychischen Problemen wie Nervosität, Konzentrationsmängeln und Stimmungsschwankungen zu leiden. Jeder sechste Befragte hatte mit Depressionen zu kämpfen. Zahlen über die Situation an der Universität Potsdam liegen dem Asta zwar nicht vor. Besançon ist aber sicher, dass sich der Bedarf an psychischer Beratung an der Alma mater erhöht. Er macht neue Faktoren für die seelischen Störungen verantwortlich: die Umstellung des Studiums auf Bachelor und Master sowie den damit verbundenen höheren Prüfungs- und Leistungsdruck bei schlechten Studienbedingungen, fehlenden Rückzugsräumen und dem wachsenden Zwang, neben dem Studium zu arbeiten. Laut dem psychologischen Berater der Universität, Jörg Herboth, nehmen etwa 200 Studierende seine Dienste in Anspruch. „Das ist in den vergangenen drei Jahren stabil geblieben.“ Allerdings spielten Lernschwierigkeiten, Stresserleben und Unzufriedenheit mit der eigenen Situation eine deutlich größere Rolle als sonst in der psychotherapeutischen Praxis, sagt Herboth. Anne Hermanns von der Beratungsstelle des Studentenwerks kann bislang keine Zunahme von Problemfällen feststellen, doch dürften sich erst mit der Zeit Auswirkungen der Studienreform auf die seelische Gesundheit zeigen, sagt sie.

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung vom 11.01.2008

Tamás Blénessy  [11. Januar 2008]

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