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Das umstrittene Belegpunktesystem wird abgeschafft. Aber was kommt danach?

Julia Wagner* kann nicht glauben, dass das komplizierte Belegpunktesystem tatsächlich abgeschafft werden soll. In die Freude mischt sich sogleich die Ungewissheit darüber, wie sich die Änderungen im Prüfungswesen auf ihr Germanistikstudium auswirken werden. Diese Frage stellen sich derzeit viele Studierende an der Universität Potsdam, nachdem sich das Präsidium im Zuge einer Vereinheitlichung des Prüfungswesens gegen das Belegpunktesystem entschieden hat (PNN berichteten).

Eine Einheitlichkeit zu erreichen, sei vor allem wichtig, damit die Studiengänge der Universität akkreditiert werden könnten, erklärt der Vize-Präsident der Universität, Thomas Grünewald. Ein Belegpunktesystem hätte nur dann Sinn, wenn es flächendeckend gelten würde. Das habe auch eine externe Untersuchung der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) ergeben. In einer Senatssitzung wurde deshalb in der vergangenen Woche beschlossen, das Belegpunktesystem bis zum Wintersemester 2009/ 2010 abzuschaffen, so Grünewald. „Es hat die gewünschte Wirkung nicht entfaltet“, resümiert er.

Jeder Studierende sollte mit dem Belegpunktesystem über eine Art Guthaben von Punkten verfügen, mit denen ein Kurs samt Prüfung belegt werden kann. Sobald diese Punkte aufgebraucht sind, kann man nicht mehr weiterstudieren. Ursprünglich sollte diese Methode dazu führen, dass Studenten ihre Punkte in Abhängigkeit von ihren Stärken und Schwächen einsetzen, erklärt Grünewald. Doch dieses Konzept habe nicht alle überzeugt, so der Vize-Präsident.

Die Mathematisch-Naturwissenschaftliche und die Juristische Fakultät hatten das System gar nicht erst eingeführt. Nur zum Teil wird es in der Humanwissenschaftlichen und in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät angewandt. Allein die Philosophische Fakultät hatte das System ganz übernommen. Studiert also jemand in den Fächern Deutsch und Mathematik, so verfügte er bislang in dem einen Fach über Belegpunkte, in dem anderen nicht.

„Jedes Fach hat einen anderen Anspruch“, erklärt dazu Student Max Metzger vom Fachschaftsrat Mathematik und Physik. Das System sei beispielsweise für das Fach Physik einfach unpraktisch. Es gebe in Physik zu viele Pflichtmodule. Die Studenten könnten sich ohnehin nicht aussuchen, welchen Kurs sie belegen wollen. Metzger findet den gesamten Bachelor noch nicht ausgereift. „Die Universitäten experimentieren noch zu viel“, sagt er.

Auch Vize-Präsident Grünewald sieht mit Blick auf die Belegpunkte, dass „der Versuch jetzt beendet werden muss“. Die Gegner des Prüfungssystems hätten von Anfang an kritisiert, dass die Universität einen Sonderweg eingeschlagen hat, sagt Grünewald. Neben Potsdam sei die Universität Lüneburg die einzige akademische Einrichtung, die dieses System eingeführt habe, ergänzt er.

Das Belegpunktesystem bringe viele Nachteile für die Studenten, findet Malte Clausen, Referent für Hochschulpolitik im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Es sei an der Universität falsch gerechnet worden, wie oft eine Prüfung abgelegt werden könne. Zwar dürfe man gewisse Prüfungen öfter wiederholen als an den meisten anderen Universitäten, wo es im Schnitt drei Versuche gebe. Doch wenn ein Hauptseminar belegt würde, müssten die Studierenden gleich bis zu zehn Leistungspunkte auf einmal einsetzen. „Dann sind die Punkte plötzlich ganz schnell weg“, erklärt Clausen. Die Anwesenheitspflicht würde das Problem noch verstärken. Bekomme man etwa eine Arbeitsstelle im Verlauf des Semesters und könne deshalb einen Kurs nicht mehr besuchen, verliere man sofort die eingesetzten Punkte, erklärt Clausen. Dadurch entstehe nicht nur ein großer Druck, sondern Studierende hätten auch ständig die Exmatrikulation vor Augen, die genau dann drohe, wenn die Punkte aufgebraucht seien. Bereits seit 2006 klagen zwei Studierende mit Unterstützung des AStA gegen das System. Unklar sei, wie viele Studierende auf Grund des Belegpunktesystems bisher exmatrikuliert wurden, so der AStA-Referent.

Max Metzger beklagt, dass die Studienqualität durch das System stark beeinträchtigt worden sei . „Das Studium soll doch frei sein“, betont der Physik-Student. Bei der Vielzahl von Anforderungen könne man aber gar nicht mehr unbefangen studieren, meint er. Auch sei es für viele Bachelor-Studenten wegen des andauernden Zeitmangels schwieriger geworden, sich für studentische Angelegenheit zu engagieren. „Der ständige Notendruck nimmt den Spaß am Studium“, sagt er.

Um die Bedingungen für Studierende zu verbessern, soll ein einheitliches Prüfungssystem bis zum Wintersemester 2009/2010 eingeführt werden. Ein Lösungsansatz sei bereits vorhanden, sagt Vize-Präsident Grünewald. So könnten Studierende in Zukunft möglicherweise innerhalb eines Moduls, das aus einzelnen Teilleistungen besteht, eine schlechte Leistung durch eine gute ausgleichen. „Es wird ein schwieriger Umstellungsprozess“, sagt Grünewald. Schwierig vor allem für diejenigen, die mit dem Belegpunktesystem angefangen haben und nun in eine neue Situation kommen. „Sie werden entscheiden können, in welchem System sie weiterstudieren wollen“, erklärt er.

Zu wissen, dass sie bis zur Umstellung in einem unzulänglichen System weiterstudieren muss, ist für Julia Wagner unbegreiflich. „Ich fühle mich wie ein Versuchskaninchen“, sagt sie verunsichert darüber, wie sie ihr Studium zu Ende bringen soll.

(*Name von der Redaktion geändert)

Quelle: Potsdamer neueste Nachrichten vom 27.06.2008

Tamás Blénessy  [27. Juni 2008]

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