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» presse/presseschau/Studenten fordern inhaltliche Diskussion zum Anti-Steinbach-Protest



Thesenanschlag an der Uni

POTSDAM / SANSSOUCI – „Mit dem Begriff Toleranz will man alle politischen Widersprüche in der Stadt platt machen“, findet Hannes Püschel: „Und man will vergessen machen, dass es arm und reich gibt in dieser Stadt. Die sollen sich einfach gegenseitig tolerieren.“

Der Ex-Student der Potsdamer Universität hat gestern mit drei Gleichgesinnten der Anti-Steinbach-Proteste vom 27. Mai eigene Toleranz-Thesen ans Hörsaalgebäude am Neuen Palais angeschlagen. Symbolisch wie Luther mit dem Hammer, tatsächlich mit Kleber. Das Quartett aus zwei Studenten und zwei Absolventen der Uni hält die Proteste gegen den Vortrag der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen für gerechtfertigt, den Polizeieinsatz gegen die Protestierer nicht. Hier sei man gegen die Form des Protestes vorgegangen, habe sich aber nicht mit dem Inhalt befasst, kritisiert Mario Schenk, der Geschichte studiert.

Toleranz sei abhängig von politischen Bedingungen und werde „jeweils vom eigenen moralischen und politischen Standpunkt aus bestimmt“, heißt es in dem Papier, das von 20 Aktivisten erarbeitet sein soll. Körperliche Unversehrtheit sei „nicht verhandelbar“ und von keiner politischen Bewertung abhängig. Der Protest in Blockadeform sei politisch gewesen, heißt es, weil die Einladung der Uni an Steinbach politisch gewesen sei. „Als Diplom-Informatikerin … hätte Frau Steinbach zu Computerschaltstellen reden können, nicht aber zu deutsch-polnischer Geschichte.“ Die Planung der nach den Protesten abgesagten Vorträge „Siedlungsgeschichte der Deutschen in Ostmitteleuropa“ sei auf persönliche Beziehungen zwischen ihr und dem Staatsrechtsprofessor Eckard Klein zurückzuführen.

Eine Blockade gehöre zum politischen Protest, erklären die Thesen-Autoren. Bei der letzten angekündigten Neonazi-Demo in Potsdam habe das auch Oberbürgermeister Jann Jakobs so gesehen und entsprechend gehandelt.

Man wehre sich dagegen, dass es künftig einen „Persilschein“ für Polizeieinsätze gebe, gegen Proteste und Blockaden vorzugehen, so Schenk. Er kritisiert damit den Mehrheitsbeschluss der Kommilitonen des Historischen Instituts, wonach die Freiheit der Rede im Extremfall mit Hilfe der Polizei zu gewährleisten wäre.

Die „Gruppe Studierender, die am Protest gegen die Vortragsreihe von Frau Steinbach beteiligt war“, hat sich nicht mit dem Allgemeinen Studierendenausschuss der Uni abgestimmt. „Wir sind astafrei“, erklärte Schenk. Das Thesenpapier soll in den nächsten Tagen auch in der Stadtverwaltung und beim Politik-Professor Heinz Kleger angeklebt werden, der die Debatte zum „neuen Toleranzedikt“ prägt. An der heutigen Podiumsdiskussion „Grenzen der Toleranz“ ab 19 Uhr im Uni-Komplex Griebnitzsee wollen alle vier Protestierer „selbstverständlich teilnehmen.“

Nach den Protesten ist Steinbach erneut zu einem Vortrag nach Potsdam eingeladen worden, diesmal durch das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Das ist mit Oberbürgermeister Jann Jakobs und den Historikern der Universität abgestimmt. Der Termin ist offen, er dürfte erst für die Zeit nach der studentischen Sommerpause anberaumt werden können.

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung vom 18.06.2008

Tamás Blénessy  [18. Juni 2008]

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