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Erika Steinbach hat nach Protesten von Studenten eine Vortragsreihe an der Universität Potsdam abgesagt

Berlin – Erst flogen „Wasserbömbchen“ gegen Vertriebenenchefin Erika Steinbach, dann verabreichte sie als Revanche der Universität Potsdam, die es nicht geschafft hatte, eine Vortragsreihe auf ihrem Gelände gegen den gewaltsamen Widerstand linker Störer durchzuführen, eine Watsche. Sie sage die geplanten Referate ab, weil die Universitätsleitung gezeigt habe, dass sie einen „auch nur ansatzweise störungsfreien Verlauf der Vortragsreihe nicht gewährleisten kann“, erklärte die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) und CDU-Bundestagsabgeordnete gestern.

Steinbach reagierte damit auf Randale am Dienstag voriger Woche. Nach entsprechenden Aufrufen des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) der Uni Potsdam war ihr geplanter Vortrag im Auditorium maximum („Die hoch- und spätmittelalterliche Ostsiedlung beziehungsweise -kolonisation“) durch Sitzblockaden, Tumulte und Würfe mit wassergefüllten Luftballons gesprengt worden. Ein Zuhörer wurde durch eine zersplitterte Flasche verletzt. Polizeikräfte konnten die Blockade der rund 100 Störer nicht unterbinden, zumal sich eine junge Mutter mit einem Kleinkind auf dem Arm unter sie gemischt hatte. Daraufhin setzte die Universitätsleitung einen für gestern geplanten zweiten Vortrag Steinbachs („Die neuzeitliche Siedlungsbewegung im 18./19. Jahrhundert“) „vorläufig“ aus. Ermittelt wird nun gegen 26 Störer wegen Nötigung und Körperverletzung.

Weil Steinbach „keinen Sinn in einer weiteren Konfrontation mit verblendeten und gewaltbereiten Gruppierungen“ sah, sagte sie ihre auf insgesamt vier Vorträge angesetzte Reihe nun ab.

Zuvor hatte der AStA von Beginn in Aufrufen erklärt, die Universität biete „rechtem Gedankengut ein Podium“. Die Reihe werde in der „bewussten Hofierung revanchistischer Thesen zumindest auf der letzten Veranstaltung ‚Umsiedlungen und Vertreibungen im und nach dem Zweiten Weltkrieg‘ gipfeln“, wusste die linke Studentenvertretung schon vorab.

Die Universität Potsdam machte Steinbachs Absage gestern in einer Pressemitteilung bekannt. Ein Wort des Bedauerns darüber, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit möglicherweise strittigen Thesen dem Faustrecht geopfert wurde, findet sich in der Erklärung nicht. Immerhin heißt es, man habe „die Studierendenvertreter nachdrücklich dazu aufgefordert, zu einer Form inhaltlicher Auseinandersetzung zurückzukehren, die akademischen Ansprüchen gerecht wird“. Zudem wies man den AStA „unmissverständlich darauf hin, dass eine Hochschule immer auch ein Ort der diskursiven Auseinandersetzung mit Personen der Zeit sein muss“.

Aus diesem empörungsfreien Tadel in Richtung des AStA lässt sich allerdings keineswegs ein Wunsch der Uni-Leitung herauslesen, eine Neuauflage der Steinbach-Vortragsreihe anzugehen, zu der das Historische Institut und das Menschenrechtszentrum der Hochschule eingeladen hatten. Denn die Hochschulleitung hat sich laut der Erklärung „in den Gesprächen mit den Veranstaltern am Historischen Institut dafür ausgesprochen, zukünftig nach geeigneteren Veranstaltungsformaten zu suchen, um sich mit kontroversen politischen Positionen wissenschaftsadäquat auseinanderzusetzen“. Darf also Steinbach künftig an der Uni diskutierten, wenn die Studentenvertreter wider Erwarten mitspielen sollten, nicht aber referieren?

Zwar lässt sich die berechtigte Frage stellen, ob die Diplom-Verwaltungswirtin, Politikerin und Verbandschefin Steinbach die wissenschaftliche Qualifikation mitbringt, an einer Hochschule nicht nur über Vertreibung oder Integration, sondern auch über die gesamte Siedlungsgeschichte zu referieren. Andererseits hat sie über diese Themen bereits mehrfach vor akademischem Publikum vorgetragen – am Münchner Institut für Zeitgeschichte ebenso wie an der Universität Pittsburgh in den USA. Und auch an der Warschauer Universität. In Zielona Góra (ehemals Grünberg) diskutierte die BdV-Chefin mit Donald Tusk, damals Oppositionsführer und heute Ministerpräsident Polens. Die Debatte verlief so kontrovers wie zivilisiert. Im Nachbardorf allerdings verbrannten empörte Demonstranten seinerzeit Steinbach-Puppen in Naziuniform. Ein solcher Vorgang, immerhin, wurde aus Potsdam nicht bekannt.

Quelle: DIE WELT vom 04.06.2008

Tamás Blénessy  [4. Juni 2008]

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