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Jeder soll nach dem Bachelor weiter studieren dürfen, sie sei gegen eine Quote, hat Bundesbildungsministerin Schavan letzte Woche gesagt. Damit weckt sie falsche Hoffnungen.

Eine beim Bundestag laufende Online-Petition für den unbeschränkten Zugang zum Masterstudium verzeichnet bereits über 15 000 Unterstützer. Am vergangenen Dienstag wirkte es, als würde am liebsten auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) ihre elektronische Unterschrift unter die Forderung setzen, „dass jeder Bachelorabsolvent einen Masterstudienplatz erhält“. Was die Ministerin als Reaktion auf den Bildungsstreik verkündete, klang wie ein Erfolg der Studenten. „Der Übergang vom Bachelor zum Master muss problemlos möglich sein“, sagte Schavan unter der Zustimmung von Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) als Vertreter der Kultusministerkonferenz. „Studierende sollen selbst entscheiden können, ob sie einen Master machen wollen oder nicht. Ich bin gegen eine Quote“, versicherte sie.

Doch was Schavan „mit dem heutigen Tag auf den Weg“ bringen wollte, löste bei Hochschulen und Ländern keine Betriebsamkeit aus. Auch ihr Ministerium verweist bei der Frage, was die Ministerin denn konkret gemeint habe, inzwischen auf die Autonomie von Ländern und Hochschulen.

Vor allem aber: Die Quote, gegen die sich Schavan so engagiert aussprach, gibt es gar nicht. Viola Herrmann, Mitarbeiterin am Institut für Hochschulforschung (HoF) in Halle, hat sich alle Bundesländer angeschaut und kommt zum Schluss: Kein Landesministerium schreibt eine offizielle Quote vor, legt also fest, wie viele Bachelorabsolventen in ein Masterstudium wechseln dürfen.

Vor Ort ist der Übergang keine Frage starr verordneter Quoten. Es geht um Auswahlverfahren, Kapazitäten und vor allem um knappes Geld und Personal, das zwischen dem grundständigen Bachelorstudium und dem aufbauenden Master aufgeteilt werden muss. Die Kalkulationen aber beruhen auf der Grundannahme der Reform, dass der Bachelor der neue Regelabschluss wird. In den Strukturvorgaben der Kultusminister heißt es, die Mehrzahl der Studenten wechsele mit dem Bachelor in den Beruf. Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) erklärte 2004, nur überdurchschnittliche Bachelorabsolventen mit Interesse an wissenschaftlicher Arbeit würden ein Masterstudium absolvieren. „Dieser Anteil wird aber nur gering sein“, sagte er.

Heute ist aber klar, dass die meisten Studierenden durchaus in den Master gehen wollen. Bei einer Eurobarometer-Umfrage im Auftrag der EU-Kommission gaben drei Viertel aller Bachelorstudenten an, sie wollten den Master anschließen. In manchen Uni-Fächern, etwa den Ingenieurwissenschaften, sind es fast alle. Selbst bei einer Umfrage unter Erfurter Fachhochschülern sprachen sich 57 Prozent für den Übertritt zum Master aus. Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) sagt inzwischen, er wolle „möglichst vielen qualifizierten Studierenden“ den Master ermöglichen. Bislang ist das an vielen Hochschulen auch kein Problem. Oft sind die Master-Studiengänge gar nicht ausgelastet. Die ersten starken Bachelor-Jahrgänge stecken noch im Studium. Im Wintersemester 2007/2008 studierten 529 890 Studenten mit dem Ziel Bachelor, nur 70 599 hatten ein Masterstudium belegt. Doch schon bald werden tausende Bachelorabsolventen an die Türen der Masterkurse klopfen.

Bei dem zu erwartenden Massenandrang braucht es keine starre Quote, um aus dem Übergang einen Engpass werden zu lassen. Es reicht ein Blick auf die Finanzplanung. Nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes (DHV), Bernhard Kempen, stecken die Hochschulen ihre Mittel bis zu 80 Prozent in den Bachelor, beim Master werde geknapst. Genauso sieht die Finanzierung des Hochschulpakts von Bund und Ländern aus, mit dem hunderttausende Studienplätze geschaffen werden: Geld bekommen die Länder für einen Studienplatz jeweils nur über vier Jahre – für den Master reicht das kaum.

Das ist aber durchaus im Sinne der Landesregierungen. Sie wollen vor allem ihre Abiturienten von der Straße bekommen. Baden-Württemberg etwa schreibt seinen Hochschulen keine Übergangsquote vor. Doch das Land legte fest, die Zahl der Studienanfängerplätze dürfe bei der Reform nicht sinken. Bei seinem Ausbauprogramm „2012“ für den erwarteten doppelten Abi-Jahrgang schafft Baden-Württemberg mit jährlich bis zu 150 Millionen Euro 16 000 neue Anfängerplätze. Masterplätze sind nicht darunter. Der doppelte Abi-Jahrgang werde diese ja frühestens 2015/2016 benötigen, heißt es.

Baden-Württemberg ist damit nach Analyse von Hochschulexpertin Herrmann kein Einzelfall: „Im Endeffekt führen diese Empfehlungen und Vorgaben in nahezu allen Bundesländern zu einer Art versteckter Übergangsquote.“ Wie viele Studenten einen Master anstreben könnten, sei von den finanziellen und personellen Kapazitäten der Hochschulen abhängig. Zwar hatten die Kultusminister von Anfang darauf gedrungen, den Zugang zum Master von besonderen Zugangsvoraussetzungen abhängig zu machen. Doch war damit einst die Auslese der Besten gemeint, nicht die Beschränkung auf die zahlenmäßig noch Verkraftbaren. Nun sagt ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministeriums, bei zu großem Andrang werde ein Masterstudiengang selbstverständlich Zulassungsbeschränkungen erlassen, „sonst können keine guten Studienbedingungen gewährleistet werden“. In Berlin haben sich Hochschulen und Wissenschaftsverwaltung zwar auf ein Rechenmodell geeinigt, nachdem die Mehrzahl der Bachelorabsolventen in den Master wechseln können wird. Doch auch hier heißt es: „Sind mehr Bewerber für einen Masterstudiengang vorhanden als Studienplätze, muss ein Zulassungsverfahren durchgeführt werden.“ Kriterien sind die Bachelor-Note, aber auch gewichtete Einzelnoten oder Auswahlgespräche.

Eine Abkehr von der Definition des Bachelors als „Regelabschluss“, mit dem die meisten Studierenden die Hochschule verlassen, wird es denn auch nach der öffentlichkeitswirksamen Abkehr Schavans von der Quote nicht geben. Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Jan-Hendrik Olbertz erklärt: „Gegen Quoten zu sein, heißt, das wir keine Vorgaben wollen, wie viel Prozent der Bachelorabsolventen ein Masterstudium antreten dürfen. Natürlich wird es auch künftig in verschiedenen Fächern einen Numerus clausus geben, schon aus Kapazitätsgründen, aber eben keine Quoten.“

Der Präsident des konservativen Professorenverbandes DHV, Bernhard Kempen, sieht darin eine Schieflage: „Für Handwerksmeister werden die Zugangshürden im Bachelor-Studium fast auf Null gesenkt, gleichzeitig werden beim Master-Studium durch Noten und Quoten neue Hürden errichtet.“ Das provoziert bei den Kritikern ungewohnte Koalitionen. Kempen, dem der Bachelor grundsätzlich widerstrebt, findet sich an der Seite der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die nur ein wenig zugespitzter fordert: „Freier Zugang zum Master – weder Quote noch Note.“

An der Universität Potsdam will der Asta mit einer Musterklage jetzt Klarheit erzwingen. Die Universität habe das Masterstudium in Betriebswirtschaft an die Mindestnote 2,5 geknüpft, in Informatik bleibe es den besten zwei Dritteln eines Jahrgangs vorbehalten, kritisieren die Studenten. Vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg haben sie eine Normenkontrollklage eingereicht. Sie berufen sich auf ihr Recht auf freie Berufswahl und die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, alle Kapazitäten auszuschöpfen. Denn bei einer starren Notengrenze könnten am Ende Bewerber trotz freier Plätze abgewiesen werden. Stumpf könnte dieses Schwert aber sein, wenn die Hochschulen die begrenzten Plätze per Numerus clausus mit den Besten auffüllen, wie in alten Studiengängen tausendfach praktiziert.

Die zuständigen Landesministerien können an solcher Auswahl ohnehin nichts Falsches erkennen. In Nordrhein-Westfalen sagt ein Sprecher des Ministeriums, dies bedeute, dass jemand „vielleicht nicht den Wunschmaster an seiner Wunsch-Uni machen kann, aber er kann seinen Master machen“. Insgesamt werde es genügend Plätze geben. Das aber heißt: Die zermürbende und derzeit chaotische Suche und Vergabe von Studienplätzen beginnt für Bachelor-Absolventen erneut. Verschärfen könnten sich die Probleme, wenn die Universitäten einer anderen Forderung nachkommen und ihren Bachelor nicht mehr einheitlich auf sechs Semester trimmen. In Konstanz warnen Psychologie-Studenten, ihr Master baue bald auf einen siebensemestrigen Bachelor auf – auswärtige Bewerber mit einem Sechs-Semester-Bachelor erfüllten dann die Bedingungen nicht.

Ist das der „problemlose“ Übergang, von dem Schavan sprach? In Baden-Württemberg nimmt eine Sprecherin des Wissenschaftsministerium den Sätzen der Bundesbildungsministerin elegant den letzten Schwung: „Wir sind mit Frau Schavan einig, dass die Studenten selbst entscheiden, ob sie einen Master machen wollen oder nicht – sie müssen halt geeignet sein.“

Quelle: Der Tagesspiegel vom 13.07.2009

Tamás Blénessy  [13. Juli 2009]

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