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Niemand kann vorhersagen, ob es genug Masterstudienplätze für alle Bewerber gibt. Bei der Vergabe droht ein Chaos.

Joachim Flunker schmiedete große Pläne, bis die Bologna-Reform sie durchkreuzte. Flunker hat VWL studiert, er wollte für die Europäische Union arbeiten, Europa besser und gerechter machen. Flunker war ein ordentlicher Student, aber dann vergeigte er zwei entscheidende Prüfungen. Auf seinem Bachelorzeugnis steht nun als Note eine 2,7. „Damit kriege ich nirgendwo einen Masterstudienplatz“, sagt er. Das ist sein Problem: Es gibt zu wenig Masterplätze, und die wenigen werden unter den allerbesten Studenten aufgeteilt. Flunker ist verzweifelt: „Einen Job kriege ich ja auch nicht. Wer will schon einen Bachelor einstellen?“

Joachim Flunker ist kein Einzelfall. Dabei hat er noch Glück, tatsächlich ist er nämlich überhaupt gar kein Fall, es gibt ihn gar nicht, er ist bloß für diese Geschichte ausgedacht. Ein Schreckgespenst, von dem allerdings viele Studentenvertreter fürchten, dass es nicht lange eines bleiben wird. Die ersten großen Bachelorjahrgänge verlassen in diesem und im kommenden Jahr die Universitäten. Im Wintersemester 2006/07 haben mehr als 120.000 Erstsemester ihren Bachelorstudiengang begonnen, und die werden im Laufe der nächsten 24 Monate auf die Masterstudiengänge einstürmen.

Beim Bildungsstreik in diesem Sommer war der Zugang zu Masterstudiengängen eines von vielen Themen, derentwegen protestiert wurde. Es gab eine Petition „Master für alle!“, in der gefordert wurde, dass für jeden Bachelorabsolventen auch ein Masterplatz zur Verfügung stehen sollte; und an der Uni Potsdam hat der Asta die Universitätsleitung verklagt, um eine Freigabe des Masterstudiums für jeden Bachelor zu erreichen. Sie alle fürchten, dass bald reihenweise Joachim Flunkers stranden könnten: zwischen einem Bachelorabschluss, den sie haben, einem Master, den sie nicht beginnen dürfen, und Jobs, die sie nicht kriegen, weil ihnen dafür der richtige Abschluss fehlt. Allein: Keiner kann sagen, ob es tatsächlich so kommen wird.

„Es gibt in Deutschland derzeit keine zuverlässigen Zahlen dazu“, sagt Kolja Briedis vom Hochschul-Informations-System (HIS) in Hannover. Das HIS vermisst die deutsche Hochschullandschaft, zählt und befragt Studenten, und die Statistiker dort stehen derzeit vor einem ähnlichen Problem wie viele deutsche Hochschulen und Studenten: Zwar lässt sich die Zahl der Bachelorstudenten recht genau ermitteln (529.980 zum Beispiel im Wintersemester 2007/08) oder auch die Zahl der Masterstudiengänge (im Sommersemester 2009: 1776 konsekutive Masterstudiengänge an den Universitäten), aber es weiß keiner, wie viele Masterstudienplätze denn zu welchem Zeitpunkt wo gebraucht werden. Es weiß noch nicht einmal jemand, wie viele Masterstudienplätze es überhaupt schon gibt.

Bisher war der Übergang zum Master selten ein Problem, weil es relativ wenige Absolventen mit dem neuen Abschluss gab. Mit der großen Welle von Bachelorabsolventen wächst die Nachfrage nach Masterplätzen – und mit ihr die Sorge, keinen zu bekommen.

Anna Hittmeyer studiert Psychologie in Göttingen und hat ihren Master noch vor dem großen Ansturm ergattert. Trotzdem war sie diejenige, die im Sommer mit einer Petition an den Bundestag erreichen wollte, dass jedem Studenten in Deutschland ein Masterstudienplatz garantiert wird. „Der Bundestag möge beschließen…“ beginnt ihr Text, fast 43.000 Studenten haben unterzeichnet, die Petition ruht derzeit in der „parlamentarischen Prüfung“. „Ich glaube allerdings nicht, dass sich deswegen etwas ändert“, sagt Hittmeyer. Sie wollte trotzdem ein Zeichen setzen.

Überraschenderweise sagte auch Bildungsministerin Annette Schavan unter dem Druck der Proteste Ähnliches. „Der Übergang vom Bachelor zum Master muss problemlos möglich sein“, erklärte sie im Juli nach einem Treffen am runden Tisch, an dem Vertreter von Studenten, Rektoren- und Hochschulkonferenz saßen. „Studierende sollen selbst entscheiden können, ob sie einen Master machen wollen oder nicht. Ich bin gegen eine Quote.“

Auch wenn sie damit den Ängsten der Studenten ein gutes Stück entgegenkam, ist es kein besonders revolutionärer Standpunkt, gegen eine Quote zu sein, weil es eine solche Quote gar nicht gibt. Kein Bundesland schreibt vor, wie viel Prozent der Bachelorstudenten nach ihrem Abschluss einen Master machen dürfen. Die Anzahl richtet sich allein nach den Kapazitäten der Hochschulen. „Die Frage ist: Wie viel kann das vorhandene Personal eines Lehrstuhls leisten?“, sagt zum Beispiel der Vizepräsident der Uni Augsburg, Werner Wiater.

Die andere Frage ist: Wie viele Plätze werden überhaupt gebraucht? Weil gerade die allerersten Bachelorjahrgänge in die Masterstudiengänge tröpfeln, weiß noch niemand so recht, wie viele der Bachelor denn überhaupt einen Master machen werden. Es fehlen die Erfahrungswerte. Es gibt Umfragen, die Wetterdaten liefern, aber keine sichere Vorhersage ermöglichen. In einer Eurobarometer-Umfrage im Auftrag der EU-Kommission zum Beispiel sagten 60 Prozent der deutschen Studenten, dass sie direkt nach ihrem Bachelor in einem Masterprogramm weiterstudieren wollten. Nur 17 Prozent hatten vor, direkt in den Beruf einzusteigen und „nie wieder“ eine Uni zu besuchen, der Rest wollte erst arbeiten und dann weiterstudieren.

Der Bedarf an Masterplätzen könnte also bei ungefähr 60 Prozent liegen. Nur: 60 Prozent von wie viel? Wie viele Studenten diesen Herbst tatsächlich mit einem Bachelorabschluss die Uni verlassen, wird man erst in einigen Wochen wissen. Dazu addieren sich die Bachelorabsolventen der letzten Jahre, die bereits arbeiten. Irgendwann werden einige von ihnen zurück an die Unis wollen – vielleicht schon in diesem Herbst, um die Wirtschaftskrise in einem Masterprogramm aussitzen zu können.

Die Universitäten stehen deshalb im Moment vor dem Problem, dass sie für einen Bedarf planen müssen, von dem sie nicht wissen, wie groß er ist, und das mit Personal, das sie manchmal gar nicht haben. Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, schätzt, dass die Universitäten 80 Prozent ihrer Mittel in die Bachelorprogramme steckten. Ursprünglich war das ja die Idee der Bologna-Reform: Der Bachelor sollte der berufsqualifizierende Abschluss sein, das Studium sollte kürzer werden, und der Master war als Zusatzabschluss für besonders engagierte Studenten gedacht.

„Bloß ist der Bachelor oft kein vollwertiger Abschluss, in der Psychologie zum Beispiel reicht er bloß für Hilfstätigkeiten“, sagt Anna Hittmeyer, die Studentin mit der Petition. Wer ernsthaft in seinem Beruf etwas werde wolle, müsse also weiterstudieren können.

ZEIT CAMPUS wollte wissen, ob es genügend Masterplätze gibt, und hat deswegen in den vergangenen Wochen rund 20 Unis in ganz Deutschland nach ihren Zulassungbedingungen für Masterstudiengänge und nach den Bewerberzahlen gefragt – insbesondere in BWL und Germanistik. Die Antwort lautete häufig: „Wissen wir noch nicht.“ Für ein Stimmungsbild reichte es trotzdem, und die Ergebnisse waren manchmal gruselig: An der Humboldt-Uni in Berlin zum Beispiel haben sich für dieses Semester 3124 Studenten auf nur 1272 Masterplätze beworben, in BWL gab es sogar für jeden der 50 Plätze mehr als 10 Bewerber. An der Ruhruni Bochum bewarben sich 218 Studenten auf 13 Masterplätze in BWL. An der Uni Bremen waren es bei insgesamt 1200 Plätzen mehr als 2700 Bewerber.

Zwar gibt es andererseits viele Universitäten, bei denen die Zahl der Studienplätze nicht beschränkt ist: Bamberg, Jena, Würzburg oder Bayreuth zum Beispiel – auch an großen Universitäten wie Bochum oder Frankfurt gibt es neben den Studiengängen mit begrenzter Platzzahl noch einige ohne Zulassungsbeschränkung. Aber: Nur weil es dort erst einmal genügend Plätze gibt, heißt das nicht, dass die Unis jeden nehmen. Sie suchen „geeignete Bewerber“, und welcher Bewerber geeignet ist, definieren die Unis und Fakultäten höchstselbst – und höchst unterschiedlich. Praktisch überall wird aber eine Mindestnote auf dem Bachelorzeugnis von 2,5 gefordert.

Vermutlich lässt die Überbuchung der befragten Unis aber noch auf ein anderes Problem schließen, das einige vom Erststudium kennen: das Problem der Mehrfachbewerbungen.

Zum Beispiel haben von den 1089 Bewerbern für einen Masterstudiengang an der Ruhruni Bochum nur 129 auch vorher ihren Bachelor an dort gemacht. Oder die Uni Bayreuth: Von 405 Bewerbungen für einen Masterplatz in BWL stammen nur 35 von Bachelorabsolventen derselben Uni. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass Studenten sich nicht nur an der eigenen Universität bewerben, sondern an mehreren gleichzeitig. Möglicherweise entsteht dadurch bald ein ähnliches Chaos, wie es die Universitäten mit den Bewerbern für ein Erststudium erlebt haben: Wenn ein Student von drei Universitäten Zusagen erhält, bleibt an zwei Universitäten jeweils ein Studienplatz frei, der neu vergeben werden muss. Universitäten und Studenten verheddern sich so in einem Reigen aus Zusagen und Absagen, und als Produkt dieser Kettenreaktion bleiben zu Beginn des Semesters halb leere Hörsäle zurück und voll genervte Studenten, die manchmal erst drei Tage nach Beginn des Semesters erfahren, wo sie eigentlich studieren können.

Quelle: ZEIT CAMPUS 06/09 vom 27.10.2009

Tamás Blénessy  [27. Oktober 2009]

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