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Warum sich trotz Protesten an den Hochschulen so wenig bewegt

POTSDAM – Mehr als hunderttausend Studenten und Schüler wollen die Veranstalter bei den Demonstrationen des heißen Bildungsherbstes vergangene Woche in über 30 Städten gezählt haben. Mehr als 3000 Studenten pilgerten auch diese Woche zur Demo nach Leipzig. Anders als bei früheren Aufständen rennen die jungen Leute jetzt zumeist offene Türen ein. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagt, bei der Umsetzung der Bologna-Reform habe es handwerkliche Fehler gegeben und stellt gleichsam als Entschädigung für Oktober 2010 eine Bafög-Erhöhung in Aussicht. Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), gab zu: „Wir haben an einigen Stellen durchaus Probleme in Studiengängen mit zu hoher Stoffdichte und Prüfungsbelastungen.“

Den rebellierenden Studenten reicht diese Zustimmung nicht. „Dem von Hochschulleitungen und Politiker geheuchelten Verständnis für die Anliegen der Studenten sind bisher keine Konsequenzen gefolgt“, stellt zum Beispiel Thomas Warnau vom Vorstand des Verbands Freier Zusammenschluss von Studierendenschaften (fzs) fest. Das sieht auch Katja Klebig, hochschulpolitische Sprecherin des Asta der Universität Potsdam, so. Zwar habe Brandenburgs neue Wissenschaftministerin Martina Münch (SPD) streikende Studenten im Auditorium Maximum besucht, und die Leitung der Universität habe einen „Runden Tisch“ als Gesprächsplattform angeboten, aber: „Bisher gibt es keine konkreten Umsetzungen unserer Forderungen.“ Dazu gehöre zum Beispiel, in Brandenburg 300 Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter zu schaffen oder die Möglichkeit einer Exmatrikulation nach Überschreiten der Regelstudienzeit aus dem Hochschulgesetz zu nehmen. „Die Ministerin hat ganz klar gesagt, es gibt kein zusätzliches Geld“, berichtet Klebig. Dabei habe das Land nach Berechnungen des Asta in den vergangenen fünf rund 23 Prozent an jedem Studierenden eingespart. Das liege vor allem an den gestiegenen Studierendenzahlen, mit denen die Geldzuweisungen des Landes nicht mithielten.

Die chronische Unterfinanzierung ist auch für Christian Berthold vom Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) ein Problem. „Die Hochschulen hätten eigentlich schon vor dem Hochschulpakt 15 bis 25 Prozent mehr Ressourcen gebraucht, denn die Bologna-Reform ist teuer“, sagt er.

Dennoch glaubt Berthold, dass die Hochschulen eine Menge tun könnten, um die Situation zu entkrampfen. „Die Hochschulen können sich zum Beispiel das konkrete Prüfungsverhalten ihrer Studenten anschauen.“ Wenn die meisten ihre Prüfungen nicht in der vorgesehenen Zeit absolvierten, sei das ein Indiz dafür, dass etwas geändert werden müsse. Berthold erinnert daran, dass gemäß Bologna nur ganze Module, also Wissenszusammenhänge, geprüft werden sollten und Teilprüfungen gar nicht vorgesehen waren.

Der Vizepräsident für Studium und Lehre an der Universität Potsdam, Thomas Grünewald, meint, an dieser Entschlackung des Prüfungswesens müsse tatsächlich noch gearbeitet werden. „Das ist aber nicht auf Knopfdruck zu machen.“ Das neue Allgemeine Prüfungsrecht der Universität werde erst für die Neuzugänge in einem Jahr wirksam, „weil 30 Fächer fachspezifische Anpassungen vornehmen müssen“.

Eine Absage erteilte Grünewald jedoch der studentischen Forderung nach einer Viertelparität in den Entscheidungsgremien. Dies widerspreche einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1973. Auch werde es in Potsdam keinen unbedingten Zugang zum Master für alle geben. Verständnis zeigte Grünewald für die Forderung nach einer besseren Betreuung. Diese richte sich aber an die Landespolitik, die mehr Geld bereitstellen müsse. (Von Rüdiger Braun)

Die Jugend im Aufstand

Zum „Bildungsstreik“ hat eine Projektgruppe im Juni dieses Jahres aufgerufen. Bundesweite Aktionen von Schülern, Studenten und Azubis begründete sie mit der zunehmenden Orientierung der Bildung an Erfordernissen des Marktes. Sie forderte selbstbestimmtes Lernen, freien Bildungszugang für alle und die Abschaffung von Gebühren.

Studentenproteste gibt es auch in Österreich. Mit Hörsaalbesetzungen bekunden die Österreicher ihren Unmut über geplante Zugangsbeschränkungen und über eine neue Diskussion um die Wiedereinführung von Studiengebühren.

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung vom 26.11.2009

Tamás Blénessy  [22. Februar 2010]

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